Chronik 2018
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Nissen (1896 − 1981) hoch angesehener<br />
Chirurg und Oberarzt bei<br />
F. Sauerbruch in Berlin, emigrierte<br />
1933 in die Türkei, weil er wegen<br />
seiner jüdischen Abstammung mit<br />
seiner Entlassung rechnen musste.<br />
Seit 1939 war er zunächst in Boston<br />
und danach in New York tätig.<br />
Von 1952 bis 1967 leitete er die<br />
Universitätsklinik für Chirurgie<br />
in Basel.<br />
27 »IV. VO zum Reichsbürgergesetz«<br />
vom 25. Juli 1938 (RGBl. I;<br />
969 f.). In: Walk J, Hg. Das Sonderrecht;<br />
II / 510.<br />
28 Benz W. Der Holocaust.<br />
Sechste Aufl. München 2005; 34.<br />
29 Hahn J, Schwoch R. Anpassung<br />
und Ausschaltung. Berlin 2009; 12.<br />
30 Schwoch R. Approbationsentzug<br />
für jüdische Ärzte; 2044. Man<br />
geht von einer Anzahl von 285<br />
verbliebenen »Krankenbehandler«<br />
aus.<br />
nicht etwa auf Respekt vor Person und Leistung, sondern auf der Erwägung, dass<br />
im Falle einer sofortigen Ausschaltung aller Ärzte, die als »nicht-arisch« angesehen<br />
wurden, die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in<br />
größeren Städten wie Berlin nicht hätte aufrechterhalten werden können. 1933<br />
waren in Berlin von insgesamt etwa 3.600 Kassenärzten rund 2.000, also knapp<br />
zwei Drittel, betroffen.22<br />
Auch in den Universitätskliniken und großen Krankenhäusern erfolgte die<br />
Entlassung jüdischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rasch und reibungslos.<br />
Am 1. April 1933, dem Tag des Boykotts jüdischer Geschäfte sowie jüdischer Arztund<br />
Rechtsanwaltspraxen, vollzog in der Charité Berlin der Ärztliche Leiter der II.<br />
Medizinischen Universitätsklinik Gustav von Bergmann eine Verwaltungsanordnung:<br />
Die jüdischen Mitarbeiter mussten an diesem Tag das Klinikgelände verlassen.23<br />
Bereits im März 1933 wurde innerhalb der Medizinischen Fakultät der Charité<br />
über die Kündigung der Ärztinnen und Ärzte jüdischer Herkunft diskutiert.24<br />
Von Bergmann kam als damaligem Prodekan der Fakultät eine wichtige Rolle zu;<br />
er galt als liberal und gegenüber den Nationalsozialisten als distanziert.25 Rudolf<br />
Nissen, Oberarzt an der Chirurgischen Klinik der Charité und 1933 in die Emigration<br />
getrieben, kannte von Bergmann seit 1927 persönlich: Er benannte dessen<br />
Begabungen und Verdienste für die klinische Medizin, er hielt ihn für geschickt in<br />
der Hochschulpolitik, aber »er blieb auch stumm, als seine ›nichtarischen‹ Assistenten<br />
die Klinik verlassen mussten«26.<br />
Durch die Nürnberger Rassegesetze vom September 1935 wurden Juden für<br />
weitgehend »vogelfrei« erklärt. Die endgültige »Ausschaltung« erfolgte mit der<br />
vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938. Diese setzte den<br />
Schlusspunkt, indem die »Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte … am 30.<br />
September 1938«27 für erloschen erklärt wurden. Dies bedeutete für die verbliebenen<br />
3.152 jüdischen Ärzte das endgültige Berufsverbot.28 Nur einer begrenzten<br />
Zahl von ihnen war es gestattet, als »jüdische Krankenbehandler« ausschließlich<br />
jüdische Patienten zu behandeln. Doch ihre Anzahl ging rapide zurück: Im Oktober<br />
1938 waren es noch etwa 70029, und bis zum Ende des Jahres sank ihre Zahl<br />
auf unter 300.30<br />
Jedes Einzelschicksal der Vertriebenen war mit unermesslichem Leid und<br />
Unrecht verbunden. Lebensgeschichten wurden zerstört, viele Menschen wurden<br />
in das Ausland verdrängt, erlebten nicht selten eine Odyssee und waren gezwungen,<br />
einen vollständigen Neuanfang zu suchen. Manche, wie Ismar Boas, sahen<br />
keinen anderen Ausweg als den Freitod. Nicht wenige, denen die Emigration<br />
nicht gelang oder sie für sich ablehnten, wurden, wie Hermann Strauß, deportiert<br />
und sind in einem KZ umgekommen.<br />
Von den 41 jüdischen Berliner Magen-Darm-Ärzten gelang 20 zwischen 1933<br />
und 1939 die Emigration ins Ausland: Neun gingen in die USA, fünf nach Großbritannien,<br />
jeweils eine Person nach Italien, Ecuador, Brasilien, Norwegen und<br />
Schweden; zudem gibt es einen jüdischen Arzt, bei dem als Emigrationsziel »Ausland«<br />
vermerkt ist. Demgegenüber teilten acht Gastroenterologen den Schicksalsweg<br />
von Millionen im Zweiten Weltkrieg ermordeter Juden: Sie wurden deportiert,<br />
starben im KZ Theresienstadt oder wurden in einem Vernichtungslager im<br />
Kapitel 3<br />
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