Chronik 2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kurt Gutzeit<br />
1893 – 1957<br />
Kurt Gutzeit83, 1893 geboren, wuchs in Berlin auf und studierte dort Medizin. 1920 wurde er<br />
Assistenzarzt in der Medizinischen Universitätsklinik Jena bei Roderich Stintzig. Dessen<br />
Nachfolger Wilhelm Stepp84 folgte Gutzeit 1926 an die Medizinische Universitätsklinik<br />
Breslau. In Jena 1923 mit einer Arbeit über die Eiweißverteilung im tierischen Organismus<br />
habilitiert, wandte sich Gutzeit in den 1920er Jahren den Erkrankungen des Magen-Darmkanals<br />
zu. Er gehörte zu den wenigen Gastroenterologen jener Zeit, die die starre Gastroskopie<br />
praktizierten und mit dieser Methode besondere Expertise erlangten.85<br />
Im Mai 1933 erhielt Gutzeit die ärztliche Leitung der I. Medizinischen Klinik am<br />
Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin, nachdem der Stoffwechselforscher<br />
Leopold Lichtwitz86 als rassisch Verfolgter sein Amt niederlegen musste. 1934 wurde Gutzeit<br />
als Ordinarius für Innere Medizin und Leiter der Medizinischen Klinik an die Universität<br />
Breslau berufen; dieses Amt hatte er bis 1945 inne.<br />
1933 erschien seine Arbeit Über die Gastroenteritis, Entzündung des Magen-Darmkanals<br />
und ihre Folgeerscheinungen.87 1934 übernahm Gutzeit die Schriftleitung der Zeitschrift<br />
Therapie der Gegenwart, gegründet und bisher herausgegeben von Georg Klemperer88, der<br />
1933 wegen seiner jüdischen Herkunft ausscheiden musste. Zugleich folgte Gutzeit Georg<br />
und Felix Klemperer in der Herausgabe der sehr anerkannten vielbändigen Reihe Neue<br />
Deutsche Klinik.89<br />
1937 publizierte Gutzeit gemeinsam mit Heinrich Teitge90 Die Gastroskopie, Lehrbuch<br />
und Atlas.91 Das Werk, 1954 in zweiter Auflage herausgegeben, umfasste methodische Fragen<br />
und ausführliche, reich illustrierte endoskopische Befunddarstellungen der verschiedenen<br />
Magenerkrankungen. Es basierte auf umfangreichen Vorarbeiten Gutzeits92 und auf<br />
Teilen der Berliner Habilitationsschrift Ergebnisse gastroskopischer Untersuchungen93 Teitges.<br />
Gutzeit war Mitglied der SS und trat 1937 in die NSDAP ein.94 Mit Beginn des Krieges<br />
nahm er neben seiner Breslauer Kliniktätigkeit die Funktion des einflussreichen Beratenden<br />
Internisten beim Heeressanitätsinspekteur an der Berliner Militärärztlichen Akademie<br />
ein; von hier initiierte er die »vergleichende Therapie« in den Kriegslazaretten.95 Durch eingehende<br />
Quellenarbeit hat Brigitte Leyendecker Ende der 1980er Jahre die Verantwortung<br />
Gutzeits für die Hepatitis A-Versuche an psychiatrischen Patienten und an KZ-Insassen<br />
dokumentiert.96<br />
Zwischen 1945 und 1948 wurde Gutzeit von den Alliierten in Internierungshaft genommen<br />
und bei dem Nürnberger Ärzteprozess als Zeuge gehört, jedoch nicht angeklagt.97<br />
Ab 1949 leitete er ein Sanatorium in Bayreuth und 1957 eine Kurklinik in Bad Wildungen.<br />
Die Medizinische Fakultät der Universität Münster empfahl Gutzeit 1953 auf Platz eins der<br />
Berufungsliste für die Nachfolge Fritz Schellongs als Lehrstuhlinhaber und Leiter der Medizinischen<br />
Universitätsklinik; eine Berufung Gutzeits erfolgte jedoch nicht.98 Bis in die<br />
1980er Jahre unterlag die Rolle Gutzeits im »Dritten Reich« mehr der Verschwiegenheit als<br />
kritischer Betrachtung.<br />
Kapitel 3<br />
49