urbanLab Magazin 2021 - Transformation
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HÖRT AUF<br />
WOHNUNGEN ZU BAUEN<br />
Architekt Van Bo Le-Mentzel im Gespräch mit Kyra Albrecht<br />
Ich treffe Van Bo Le-Mentzel und seinen Sohn an einem Gymnasium in Reinickendorf, oberhalb von<br />
Berlin. Dort arbeitet er als Kunstlehrer und hat eines seiner Tiny Houses mitgenommen. Auf dem Pausenhof<br />
steht die Waschmaschine: das Tiny House, das nach dem Vorbild des Dessauer Bauhauses entworfen<br />
wurde. Es wird als zusätzlicher Schulraum von Schüler:innen und Lehrer:innen genutzt. Gerade<br />
hat Le-Mentzel das Badezimmer des Tiny Houses mit einem Drucker ausgestattet, sodass der Raum<br />
umfunktioniert wird zur Kopierstation für sein nächstes Fotografie-Projekt mit seinen Schüler:innen.<br />
KA: Was ist dieses Tiny House für dich,<br />
hier an dieser Stelle?<br />
LM: Man muss sich vorstellen, das ist<br />
meine Arbeitsstelle und ich wohne eine<br />
Stunde entfernt. Ich pendle sozusagen.<br />
Das ist der Raum, den ich jetzt für mich<br />
habe. Und wenn mein Sohn kommt,<br />
kann er hier spielen. Ansonsten wüsste<br />
ich jetzt gar nicht, wo ich meinen Sohn<br />
lassen sollte. Auch in der Pandemie-Zeit<br />
war das für mich einfach. Hier kann mein<br />
Sohn ja die ganze Zeit mit dabei sein.<br />
KA: Also hast du gar kein festes Büro in<br />
Berlin?<br />
LM: Genau. Dahinter steckt aber eine<br />
Theorie oder fast eine andere Haltung.<br />
Ich behaupte, dass jeder einen Rückzugsort<br />
braucht, das ist klar. Aber das<br />
Leben findet eigentlich meistens nicht<br />
an den Orten statt, wo du glaubst, wo<br />
das Leben stattfindet. Das Leben findet<br />
überall statt. Auf der Straße, auf der Autobahn,<br />
an Kreuzungen, in der U-Bahn,<br />
im Bus, bei dir Zuhause, im Büro, bei deinen<br />
kranken Eltern, die du pflegst. Und<br />
deswegen müssen diese Räume, die<br />
man braucht, um zu Leben, zum Essen,<br />
Schlafen, Zähneputzen, Beten, Duschen,<br />
überall sein. Für mich macht es keinen<br />
Sinn, einen Raum nur zum Schlafen zu<br />
haben, denn ich schlafe ja vielleicht auch<br />
mal woanders. Urlaub ist so ein klassisches<br />
Beispiel. Da haben alle irgendwie<br />
begriffen „Okay, es braucht Hotels, wo<br />
man dann schlafen kann“. Aber warum<br />
gibt's denn hier an der Schule kein Hotel?<br />
Vielleicht wollen ja einige auch mal<br />
tagsüber schlafen.<br />
Deswegen glaube ich auch, dass Arbeiten<br />
so ein ähnliches Thema ist. Es gibt<br />
eine Gruppe von Menschen, die können<br />
nicht sagen „Jetzt fange ich an zu arbeiten<br />
und jetzt höre ich auf zu arbeiten“,<br />
dazu gehöre ich auch nicht, sondern<br />
wenn mich etwas interessiert, zum Beispiel<br />
ein Buch, dann sage ich ja nicht<br />
„Ich kann mir das jetzt nicht anschauen,<br />
weil meine Arbeitszeit ist jetzt vorüber“,<br />
sondern ich lebe. Ich gucke mir natürlich<br />
Bücher an, gehe ins Museum. Das ist<br />
für mich alles Arbeit und lässt sich nicht<br />
trennen von meinen normalen Arbeitszeiten.<br />
Natürlich gibt es Verpflichtungen,<br />
so etwas wie Unterrichten an einer Schule,<br />
die sind klar festgelegt. Aber es gibt<br />
auch Momente wie Vorbereitungszeit,<br />
Gespräche führen mit Eltern, mit anderen<br />
Leuten. Ich mache einen Podcast mit<br />
Schülerinnen und Schülern und dafür<br />
gibt es keine festgelegte Zeit. Das haben<br />
wir mal hier gemacht im Tiny House oder<br />
94 HUMAN CENTERED DESIGN