urbanLab Magazin 2021 - Transformation
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
gen können. Wahrscheinlich mit einem<br />
Auto, weil es keine Busse gibt. Umso<br />
weniger Menschen dort leben, desto weniger<br />
Infrastruktur hast du. Wenn du dir<br />
außerhalb der Zivilisation ein Zuhause<br />
wünschst, dann kann es sein, dass es auf<br />
den ersten Blick aussieht als ob du niemanden<br />
damit weh tust, aber durch dein<br />
Konsumverhalten entstehen Kosten, die<br />
wahrscheinlich die Gemeinschaft trägt.<br />
Und das ist nicht fair. Die Gemeinschaft<br />
profitiert ja nicht von einem Baumhaus.<br />
Aber wenn du sagen würdest, dass ist<br />
ein Baumhaus nicht nur für dich, sondern<br />
für die Hochschule, ist es was anderes.<br />
Dann leistest du einen Beitrag<br />
für die Gemeinschaft und musst auch<br />
nicht alleine die Kosten tragen, sondern<br />
dann kann man das schon auf die Gemeinschaft<br />
abwälzen. Das ist der Grund,<br />
warum unsere Tiny Houses nicht am<br />
Waldrand stehen, sondern wie hier auf<br />
einem Schulhof. Hier steht es ja der Gemeinschaft<br />
zur Verfügung.<br />
KA: Wie kam denn die Idee überhaupt<br />
Tiny Houses zu entwerfen? Ich dachte immer<br />
du hast das Problem des Wohnraum-<br />
Mangels vor allem in Berlin erkannt und<br />
darauf reagiert.<br />
LM: Ich habe damit angefangen, da gab<br />
es noch gar keinen Mangel an Wohnraum.<br />
Damals haben sich alle gefragt,<br />
was machen wir eigentlich damit? Wer<br />
braucht es eigentlich? Und dann haben<br />
wir das Obdachlosen angeboten. Jetzt,<br />
zehn Jahre später, wissen wir „Okay,<br />
krass, in so vielen Ländern der Welt gibt<br />
es zu wenig bezahlbare Wohnungen“.<br />
Jetzt denke ich viel über diese Themen<br />
nach.<br />
KA: Ich komme aus einem ländlichen<br />
Gebiet. Natürlich haben wir langsam<br />
auch das Wohnungsproblem, noch nicht<br />
so verstärkt wie in Berlin, aber es wird<br />
spürbar. Ich sehe das als ein gesamtgesellschaftliches<br />
Problem. Die Menschen<br />
wollen alle in die Städte ziehen, weil die<br />
Infrastruktur im ländlichen Raum einfach<br />
nicht funktioniert oder nicht existiert.<br />
Wir brauchen ein Auto, weil man sonst<br />
nicht von A nach B kommt.<br />
LM: Hier in Reinickendorf hat jeder ein<br />
oder zwei Autos. Das ist nicht nur ein<br />
Phänomen von Mittelstädten oder kleineren<br />
Städten oder vom Land, sondern<br />
das ist ein allgemeines Phänomen. Es ist<br />
die Geschichte des Wohlstands, dass das<br />
Auto eine gewisse Freiheit ermöglicht.<br />
Aber nehmen wir mal an, wir hätten das<br />
Mobilitäts-Problem gelöst, es ist ja nicht<br />
nur Mobilität. Zum Beispiel Resilienz, Resilienz<br />
bedeutet ja Widerstandsfähigkeit.<br />
Würde ein Mann beispielsweise in Kreuzberg<br />
auf der Straße zusammenbrechen,<br />
dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er<br />
dort verblutet und stirbt, sehr gering. Es<br />
gibt einfach viele Menschen, die vorbeilaufen<br />
und dann direkt handeln. Wenn<br />
du im Wald zusammenbrichst, dann<br />
wirst du wahrscheinlich sterben, einfach<br />
weil kaum Menschen da sind, die dir helfen<br />
könnten. Das heißt, die Kosten, um<br />
zum Beispiel. einen Bademeister in einer<br />
Stadt zu bezahlen sind pro Kopf gerechnet<br />
sehr viel geringer als die Kosten für<br />
einen Bademeister, der an einem See darauf<br />
achtet, dass zwei Leute nicht ertrinken.<br />
Die Kosten sind so viel höher, weil<br />
zu wenig Menschen da sind. Das führt<br />
dann zu diesen Effekten, dass z.B. Läden<br />
nicht überleben können auf dem Land.<br />
Niemand kann überleben, weil einfach<br />
zu wenig Nachfrage da ist. Und das ist ja<br />
ein ganz anderes Problem. Das hat mit<br />
Mobilität jetzt erst einmal nur am Rande<br />
was zu tun. Und das kriegst du auch<br />
nicht gelöst, wenn alle einen Tesla bekommen<br />
würden.<br />
Es gibt viele Probleme auf dem Land,<br />
die einfach dadurch begründet sind,<br />
dass zu wenige Menschen da sind. Und<br />
dann kommt noch der politische Effekt<br />
dazu. Wenn wenige Menschen an einem<br />
Ort sind, dann schleicht sich so eine Homogenität<br />
ein. Das heißt Leute, die sich<br />
nicht anpassen werden so schnell herausgefiltert.<br />
Es gibt sehr wenig Toleranz.<br />
Und in einer Großstadt, weil dort so<br />
viele Menschen sind, musst du tolerant<br />
sein, sonst wirst du noch verrückt. Das<br />
Landleben ist super für Leute, die wirklich<br />
angepasst sind. Für Leute, die nicht<br />
angepasst sind, ist es die Hölle. Und jetzt<br />
muss man natürlich mal auch an die<br />
denken, die Unangepasste. Die werden<br />
HUMAN CENTERED DESIGN<br />
97