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7. Gefahrensituationen<br />
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7.4 Manövrierunfähigkeit, Ruderbruch<br />
Beginnen wir mit einer Beispiel-Situation, die auf jedem Küstentörn mit nicht<br />
geringer Wahrscheinlichkeit auftreten kann: Wir segeln bei gutem Wetter und<br />
stetigem Wind von Beaufort 4 unweit der Küste, kein Problem in Sicht. Plötzlich<br />
wird der Rudergänger unruhig, versucht das Ruder hin und her zu drehen,<br />
denn er stellt einen ungewöhnlichen Widerstand fest. Die Fahrt des Schiffes<br />
nimmt ebenfalls deutlich ab. Ein Blick ins Heckwasser klärt die Lage: Eine daumendicke<br />
Leine geht vom Heck aus schräg hinunter ins tiefe Blau … eine Fischerleine.<br />
Am Rumpf rumpelt zudem etwas Hartes. Es ist die Boje, mit der der<br />
Fischer sein Fanggeschirr gekennzeichnet hat. Der Rudergänger hatte sie einfach<br />
nicht gesehen. Offensichtlich hängt unten am Meeresboden irgendetwas<br />
Schweres an der Leine, schwer genug, um die 10-Tonnen-Yacht abzustoppen.<br />
Was tun? Der Skipper hat bereits die Tauchmaske, Flossen und Schnorchel aus<br />
dem Staukasten auf dem Achterdeck geholt und sucht nur noch ein scharfes,<br />
solides Messer. Die Segel werden geborgen, die Badeleiter ausgeklappt und<br />
der Skipper springt am Heck ins Wasser. Das Schiff – inzwischen ohne den<br />
Winddruck in den Segeln – rollt und stampft recht grob im Seegang. Nur die<br />
Leine hinter dem Heck durchzuschneiden reicht nicht, denn sie hat sich fest<br />
hineingezogen in den schmalen Spalt zwischen Ruderoberkante und Rumpf.<br />
Einfaches Herausziehen ist auch mit grober Gewalt unmöglich. Es bleibt dem<br />
Mann im Wasser nichts anderes übrig, als unter das Heck zu tauchen und zu<br />
versuchen, die Leine direkt an der Klemmstelle zwischen Ruder und Rumpf<br />
durchzuschneiden. Leichter gesagt als getan, denn das Schiff bewegt sich manövrierunfähig<br />
im groben Seegang wie ein wilder Gaul. Mehrere Versuche sind<br />
notwendig, bis die verflixte Leine direkt am Ruder endlich durchgeschnitten<br />
ist und auch die eingeklemmten Reste herausgeschnitten sind. Und dann passiert<br />
das Fatale: Der Job ist fast erledigt, als eine höhere Welle plötzlich das<br />
Heck besonders stark anhebt und der Rumpf im nächsten Moment hinunterkracht<br />
auf den Kopf des Skippers. Er schafft es noch, auf die erste Stufe der<br />
Badeleiter zu kommen, fällt dann aber bewegungslos zurück ins Wasser. Den<br />
anderen Crewmitgliedern ist klar, dass er offensichtlich Hilfe benötigt. Ein<br />
weiterer Mann geht mit einer fingerdicken Rettungsleine ins Wasser, bindet<br />
dem Skipper die Leine mit einem Palstek um die Brust und gibt Anweisung<br />
zum Bergen des Mannes. Über die Badeplattform sind Skipper und Retter ohne<br />
größere Schwierigkeiten bald an Bord zurück. Der Skipper hat eine beängstigend<br />
blutende Platzwunde am Hinterkopf. Ihm ist schwindelig und es wird<br />
ihm übel … Gehirnerschütterung. Der nächste Hafen ist etwa zehn Seemeilen<br />
entfernt, zum Glück in Lee, also ohne Kreuzen in etwa zwei Stunden zu erreichen.<br />
Fazit: fünf Nadelstiche in der Kopfhaut und eine Nacht im örtlichen<br />
Krankenhaus. Er hat noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn dies