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Leseprobe - Delius Klasing

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7. Gefahrensituationen<br />

170<br />

7.4 Manövrierunfähigkeit, Ruderbruch<br />

Beginnen wir mit einer Beispiel-Situation, die auf jedem Küstentörn mit nicht<br />

geringer Wahrscheinlichkeit auftreten kann: Wir segeln bei gutem Wetter und<br />

stetigem Wind von Beaufort 4 unweit der Küste, kein Problem in Sicht. Plötzlich<br />

wird der Rudergänger unruhig, versucht das Ruder hin und her zu drehen,<br />

denn er stellt einen ungewöhnlichen Widerstand fest. Die Fahrt des Schiffes<br />

nimmt ebenfalls deutlich ab. Ein Blick ins Heckwasser klärt die Lage: Eine daumendicke<br />

Leine geht vom Heck aus schräg hinunter ins tiefe Blau … eine Fischerleine.<br />

Am Rumpf rumpelt zudem etwas Hartes. Es ist die Boje, mit der der<br />

Fischer sein Fanggeschirr gekennzeichnet hat. Der Rudergänger hatte sie einfach<br />

nicht gesehen. Offensichtlich hängt unten am Meeresboden irgendetwas<br />

Schweres an der Leine, schwer genug, um die 10-Tonnen-Yacht abzustoppen.<br />

Was tun? Der Skipper hat bereits die Tauchmaske, Flossen und Schnorchel aus<br />

dem Staukasten auf dem Achterdeck geholt und sucht nur noch ein scharfes,<br />

solides Messer. Die Segel werden geborgen, die Badeleiter ausgeklappt und<br />

der Skipper springt am Heck ins Wasser. Das Schiff – inzwischen ohne den<br />

Winddruck in den Segeln – rollt und stampft recht grob im Seegang. Nur die<br />

Leine hinter dem Heck durchzuschneiden reicht nicht, denn sie hat sich fest<br />

hineingezogen in den schmalen Spalt zwischen Ruderoberkante und Rumpf.<br />

Einfaches Herausziehen ist auch mit grober Gewalt unmöglich. Es bleibt dem<br />

Mann im Wasser nichts anderes übrig, als unter das Heck zu tauchen und zu<br />

versuchen, die Leine direkt an der Klemmstelle zwischen Ruder und Rumpf<br />

durchzuschneiden. Leichter gesagt als getan, denn das Schiff bewegt sich manövrierunfähig<br />

im groben Seegang wie ein wilder Gaul. Mehrere Versuche sind<br />

notwendig, bis die verflixte Leine direkt am Ruder endlich durchgeschnitten<br />

ist und auch die eingeklemmten Reste herausgeschnitten sind. Und dann passiert<br />

das Fatale: Der Job ist fast erledigt, als eine höhere Welle plötzlich das<br />

Heck besonders stark anhebt und der Rumpf im nächsten Moment hinunterkracht<br />

auf den Kopf des Skippers. Er schafft es noch, auf die erste Stufe der<br />

Badeleiter zu kommen, fällt dann aber bewegungslos zurück ins Wasser. Den<br />

anderen Crewmitgliedern ist klar, dass er offensichtlich Hilfe benötigt. Ein<br />

weiterer Mann geht mit einer fingerdicken Rettungsleine ins Wasser, bindet<br />

dem Skipper die Leine mit einem Palstek um die Brust und gibt Anweisung<br />

zum Bergen des Mannes. Über die Badeplattform sind Skipper und Retter ohne<br />

größere Schwierigkeiten bald an Bord zurück. Der Skipper hat eine beängstigend<br />

blutende Platzwunde am Hinterkopf. Ihm ist schwindelig und es wird<br />

ihm übel … Gehirnerschütterung. Der nächste Hafen ist etwa zehn Seemeilen<br />

entfernt, zum Glück in Lee, also ohne Kreuzen in etwa zwei Stunden zu erreichen.<br />

Fazit: fünf Nadelstiche in der Kopfhaut und eine Nacht im örtlichen<br />

Krankenhaus. Er hat noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn dies

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