Sven Giegold / Dagmar Embshoff (Hrsg.) Solidarische ... - VSA Verlag
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102 Chancen und Grenzen anderen Wirtschaftens im Kapitalismus<br />
schen und Gemeinwesen aus zu denken. Der Entwurf einer solchen Ökonomie<br />
geht von den grundlegenden Implikationen des Begriffs »Gemeinwesen« aus:<br />
■ der untrennbaren Einheit der Nutzung, Herstellung und Verteilung der materiellen<br />
Lebensgrundlagen;<br />
■ der Gestaltung der sozialkulturellen Lebenszusammenhänge in Formen<br />
der vertikalen Vergesellschaftung auf der Basis von Zusammenschluss und<br />
Freiwilligkeit.<br />
Die soziale Ökonomie des Gemeinwesens existiert immer im Schatten der dominanten<br />
Ökonomie und sie entsteht derzeit weltweit neu. In der internationalen<br />
Diskussion geraten diese Ansätze als Alternativ- und Ergänzungsstrukturen der<br />
zunehmend krisenhaften neoliberalen Politik ins Licht öffentlichen Interesses.<br />
Trotz ihrer Unterschiedlichkeit weisen sie deutliche Gemeinsamkeiten auf. Die<br />
Versuche, sie begriffl ich zu fassen, verdeutlichen, dass es sich um Alternativen<br />
zum westlichen Wachstums- und neoliberalen Profi tmodell handelt.<br />
In der europäischen Diskussion wird von einer sozialen Ökonomie im<br />
»Dritten Sektor« 1 ausgegangen. Zu diesem Sektor gehört eine Vielfalt von Organisationen,<br />
die jenseits des öffentlichen und privaten Bereiches agieren und<br />
nicht privater Gewinnmaximierung dienen. Dabei ist die zentrale Frage nicht<br />
die der Gewinnerzeugung, sondern die der Gewinnverwendung, die diesen<br />
Bereich von der privatkapitalistischen Wirtschaftsweise unterscheidet. Neben<br />
Vereinen, Stiftungen und Gegenseitigkeitsgesellschaften, gehören ihm auch<br />
Genossenschaften an. Im europäisch-romanischen Raum wird – in Abgrenzung<br />
gegenüber der Versicherungswirtschaft und den traditionellen Wohlfahrtsverbänden<br />
– bei Kooperativen und ökonomischer Selbstorganisation auch von<br />
»Économie Solidaire« gesprochen. Der Begriff der »Solidarökonomie« setzt<br />
sich derzeit in der weltweiten Diskussion durch und ist insbesondere beeinfl usst<br />
von den Entwicklungen und der Diskussion der »économia popular y solidaria«<br />
in Lateinamerika.<br />
Der Begriff »Solidarökonomie« betont die Bedeutung des Steuerungsmediums<br />
Solidarität, 2 welches in ökonomischen Austauschprozessen zusätzliche<br />
Engagementbereitschaft der beteiligten Akteure freisetzt und ganzheitliche Perspektiven<br />
entwickelt. Solidarökonomie steht gegen die Dominanz des Gewinn-<br />
und Konkurrenzprinzips als alleinige Steuerungsmodi ökonomischen Handelns.<br />
Sie erzeugt Sozialkapital durch Kooperation und solidarische Bewirtschaftung<br />
von Ressourcen. Es handelt sich also nicht nur um einen sozialen Sektor, der<br />
1 Die im Mai 1982 verabschiedete Charta der Économie Sociale umfasst sieben Artikel,<br />
die die Koordinationsprinzipien des Sektors konkretisieren.<br />
2 Zur Bedeutung und Wirkung des Steuerungsmodus Solidarität, vgl.: Habermas,<br />
Jürgen (1985): Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt/M., S. 158