Sven Giegold / Dagmar Embshoff (Hrsg.) Solidarische ... - VSA Verlag
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34 Praxis und Projekte <strong>Solidarische</strong>r Ökonomie weltweit<br />
Burghard Flieger<br />
Neue Genossenschaftstypen: Anzeichen einer<br />
Modernisierung des Genossenschaftswesens<br />
Traditionelle Unterscheidungen im Genossenschaftssektor<br />
Die ideologische Auseinandersetzung darüber, was eine Genossenschaft ist,<br />
wurde politisch und wissenschaftlich am intensivsten an der Unterscheidung<br />
zwischen Förder- und Produktivgenossenschaften ausgetragen. Zumindest<br />
in Deutschland sind weitaus die meisten Genossenschaften Fördergenossenschaften.<br />
Sie unterstützen ihre Mitgliedsunternehmen oder Haushalte unter<br />
Wahrung, Erhaltung oder gar Stärkung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit.<br />
Sie übernehmen für diese eine Hilfsfunktion. Dies gilt für die Konsum- und<br />
Wohnungsgenossenschaften genauso wie für Kredit-, Absatz- und die meisten<br />
landwirtschaftlichen Genossenschaften.<br />
In Abgrenzung dazu sind Produktivgenossenschaften Vollgenossenschaften<br />
zur Verwertung der Arbeitskraft ihrer Mitglieder. Diese betreiben kein selbständiges<br />
Gewerbe neben der Genossenschaft. Das heißt, die Mitglieder bauen<br />
auf einer Produktivgenossenschaft ihre gesamte wirtschaftliche Existenz auf.<br />
Die TrägerInnen der Genossenschaft sind gleichzeitig ihre eigenen ArbeitnehmerInnen.<br />
Noch einen Schritt weiter in Richtung vollständige Integration aller<br />
Wirtschaftsfunktionen gehen so genannte Vollproduktivgenossenschaften oder<br />
Kommunen, in denen nicht nur der Erwerb, sondern auch die Wohnversorgung<br />
und der Konsum über den gemeinsamen Betrieb organisiert werden.<br />
Eine Art Zwitterfunktion zwischen beiden Genossenschaftsarten nehmen die<br />
Arbeitsgenossenschaften ein. Faktisch ist die Arbeitsgenossenschaft eine Fördergenossenschaft,<br />
in der die Mitglieder keinen eigenen Betrieb haben, sondern<br />
ihre Arbeitskraft als Selbständige über den gemeinsamen Betrieb verwerten. Sie<br />
bekommt produktivgenossenschaftlichen Charakter, indem es letztlich um die<br />
Verwertung der Arbeitskraft und die Sicherung der gesamten wirtschaftlichen<br />
Existenz geht. Bei Arbeitslosengenossenschaften kann dies auch umgekehrt sein.<br />
Einige Mitglieder sehen die Arbeit auch im Falle eines Vollzeitarbeitsvertrags<br />
nur als Übergangsstadium für die Beschäftigung in anderen Unternehmen. Für<br />
sie persönlich hat dann die Genossenschaft hilfswirtschaftliche Funktion trotz<br />
real anderer Ausgestaltung.<br />
Nicht nur der genossenschaftliche Charakter von Produktivgenossenschaften<br />
wurde immer wieder in Frage gestellt, sondern auch, dass sie überhaupt existieren.<br />
Als Reaktion darauf wurde in einer umfassenden Recherche dargestellt,<br />
dass die Gesamtzahl produktivgenossenschaftlich strukturierter Betriebe in