PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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<strong>Anthropologie</strong> in orientierender Absicht. Und diese Aufgabe ist<br />
weder neu noch ist sie überholt. Johann Heinrich Pestalozzi, in<br />
seinem bekannten anthropologischen Versuch mit dem Titel „Meine<br />
Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des<br />
Menschengeschlechts" aus dem Jahre 1797? schrieb: „Es ist ...<br />
gewiß, daß unsere Kenntnisse immer mehr auf einer schwärmenden<br />
Neigung beruhen, uns den Kopf mit fremden, uns gar nicht mehr<br />
berührenden Gegenständen auszufüllen. Daher eine Menge Menschen<br />
mit den ausgebreitetsten Kenntnissen dennoch in ihren wesentlichen<br />
Angelegenheiten handeln, als wenn sie nichts wüßten, und<br />
verführt durch die Ausartung ihrer Kenntnisse, dahin kommen,<br />
Träumer, Bettler und Schurken zu werden." (S.96)<br />
Was hier in der äußerst ungefälligen und daher an Wahrhaftigkeit<br />
kaum zu überbietenden Sprache Pestalozzis anklingt, ist<br />
mehr als nur eine zeitbedingte Kritik an rationalistischen Kulten<br />
der Vordergründigkeit, die den essentiellen Bezug des Wissens<br />
zum Leben des Wissenden unterschlagen. Es ist das Grundinotiv,<br />
den Rang der Kenntnisse an ihrem Beitrag, zu praktischer<br />
menschlicher Selbsterkenntnis zu messen und diesen Beitrag pädagogisch<br />
einzufordern. Und das Zitat ist auch deshalb von höchst<br />
aktueller Bedeutung, weil in seinem zweiten Satz ein Problem<br />
formuliert wird, das sich heute noch verschärft hat: das Problem<br />
nämlich, wie es möglich sei, angesichts der „ausgebreitetsten<br />
Kenntnisse" (wir würden heute von der „Wissensexplosion"<br />
sprechen) noch sinnvoll und das bedeutet „vernünftig" zu handeln.<br />
Wir können auch sagen, wie es möglich sei, wissenschaftliche<br />
Erkenntnis in Bildung zu übersetzen. Pur den Pestalozzi<br />
der „Nachforschungen" war zumindest der einzuschlagende Weg<br />
nicht zweifelhaft, und zwar als Weg radikaler Selbstanfrage,<br />
die sich nichts vorgeben läßt als den lebensmäßigen Erfahrungsboden<br />
oder das Exemplarische der eigenen Lebensgeschichte. In<br />
solcher radikalen Selbstreflexion, die an den cartesianischen<br />
Zweifel erinnert, hofft Pestalozzi einmal, einen sicheren Grund<br />
für die Beantwortung seiner Präge „was bin ich und was ist das<br />
Menschengeschlecht" zu gewinnen, und er hofft - und das ist von<br />
äußerster pädagogischer Relevanz - menschlich handlungsfähig zu