PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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2. Vorlesung<br />
Unsere erste Anfrage unter der Leitperspektive einer pädagogischen<br />
<strong>Anthropologie</strong> in orientierender Absicht gilt also Johann<br />
Gottfried Herder (17^4 - 1803), jenem um fünf Jahre jüngeren<br />
Zeitgenossen Goethes, der vor allem als „Stürmerund Dränger<br />
11 , als großer Anreger in die Denk- und Geistesgeschichte<br />
eingegangen ist. Der Lebensweg dieses Mannes hat nichts von<br />
der behäbigen Kontinuität, mit der stetige Biographien ihre<br />
Entwicklung und Entfaltung absolvieren, sondern er ist gekennzeichnet<br />
von leidenschaftlicher und rastloser Hingabe an wechselnde<br />
Themen und Probleme im Zuge unaufhörlicher Suche nach<br />
sinnhafter Selbstverständigung. In seiner Unrast, seiner Getriebenheit,<br />
die ihn nirgendwo wirklich daheim sein ließ -<br />
weder in Riga, noch in Straßburg, Bückeburg oder am Ende in<br />
Weimar - ist Herder eine sehr moderne Erscheinung des Menschen:<br />
der Typ des ruhelosen, der auf der Suche nach seiner Identität<br />
ist, des Immer-Engagierten, der der Bequemlichkeit und den Systemen<br />
mißtraut, weil sie ihm Stillstand und Absonderung von<br />
der Wirklichkeit geschichtlichen Lebens bedeuten. Zwar geht Herder<br />
in die strenge Schule Kants, beugt er sich lernend der kühlen<br />
Disziplin des Begriffs der kritischen Philosophie, aber<br />
nicht, um darin zu verharren und seine Sicherheit zu finden,<br />
sondern um am Ende gegen sie auf anderen und späteren Stadien<br />
seines Lebensweges zu rebellieren. Er ist Theologe, Literat,<br />
Schulmann, Forscher und Wissenschaftler, nicht jedoch indem er<br />
sich diesen Professionen nacheinander widmet. Vielmehr ist er<br />
alles zugleich. Und das baut Spannungen auf, nicht nur nach<br />
außen in literarischer Konkurrenz und Fehde, die ihm Gelegenheit<br />
bietet, sich durch Ironie und Sarkasmus Freunde und Feinde,<br />
Gönner und einflußreiche Gegner zu schaffen. Auch nach innen<br />
wird dieses Leben gespannt durch das Miteinander und Gegeneinander<br />
unterschiedlicher Interessen. Der Altertumsforscher<br />
Herder fordert gleichsam den Theologen heraus, die Perspektive<br />
der Menschengeschichte und der Schöpfungsgeschichte in einen<br />
sinnvollen Zusammenhang zu bringen, sich der Widersprüchlichkeit<br />
zu stellen, die immer aufzubrechen droht zwischen dem, was<br />
der Mensch von sich her weiß, und dem, was er seiner Weisheit