PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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-54-<br />
5. Vorlesung<br />
Wir haben einen "Eindruck" von Herders philosophischer Anthropolo-<br />
gie gewonnen und müssen versuchen, ihn zu bewerten, zu differenzieren<br />
- vielleicht zu korrigieren. Wir kennen die Motive, warum<br />
und in welcher Weise Herder nach einer wissenschaftlichen Philosophie<br />
der Geschichte der Menschheit im "Ganzen und Großen" fragt,<br />
vor allem das Motiv, evident zu machen, daß es einen geheimen Plan<br />
der historischen Entwicklung der Menschengattung gibt, von dem man,<br />
obgleich er Geheimnis ist, etwas wissen kann. Die Methode Herders,<br />
die er als nicht-spekulativ und nicht-metaphysisch begreifen möchte,<br />
ist der Vergleich, der die besondere "Organisation" des Menschen ans<br />
Licht heben soll, und zwar ohne ihn zu diskriminieren \das mißratene<br />
Tier") oder ohne ihn zu überhöhen ("das vollendete Tier"). Schon<br />
der Gedanke gemeinsamer Geschöpflichkeit, so kann man vermuten,<br />
hindert Herder daran - jedenfalls im Grunde - eine Wertung zu treffen<br />
Das Programmwort, dem Herder seine Untersuchungen in den Ideen<br />
unterstellt, ist das Wort "Humanität". Dieses bezeichnet einmal<br />
den Sachverhalt des Menschlichen im Unterschied zum Tierischen und<br />
ist insofern "deskriptiv" und es bezeichnet zum anderen eine Entwicklungstendenz,<br />
die es zu verwirklichen gilt. Und insofern ist es<br />
"normativ",und zwar im Sinne einer durch die Natur angelegten Norm.<br />
Herder ist nun bestrebt, die Verschwommenheit des Begriffs, die auch<br />
seiner Zeit nicht fremd war, durch fragende Hinwendung auf die Geschichte<br />
aufzufangen. Humanität, so meint er, sei der Zweck der<br />
Menschheit: "Wenn wir nun in der ganzen Schöpfung jede Sache nur<br />
durch das, was sie ist und wie sie wirkt,kennen: so ist uns der<br />
Zweck des Menschengeschlechts auf der Erde durch seine Natur und<br />
Geschichte, wie durch die helleste Demonstration gegeben." (Ideen,<br />
S. 398) Menschliche Geschichte also als Medium der Selbsterkenntnis<br />
der "Menschheit". - auch das ein sehr moderner Standpunkt, selbst<br />
dann, wenn man in der Geschichte nicht nur Humanität, sondern auch<br />
und vor allem vielleicht Bestialität entdeckt. - "Humanität" ist<br />
also Herders anthropologische Grundbestimmung. Aber er bleibt nicht<br />
bei ihrer Behauptung; er sucht ihren Beleg. Den Beleg findet er<br />
in den Bahnen menschlicher Naturorganisation - genauer: spezifisch<br />
menschlicher Grundanlagen und Grundaufgaben, die aus der Besonderheit<br />
menschlichen Naturdaseins verständlich werden.Zu diesen Grundanlagen,