PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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S. 115 ) Man muß genau lesen, um die entscheidende Aussage<br />
dieses Satzes zu gewinnen. Da ist die Rede von dem „vielarmigen<br />
Werkzeug der Kunst". Dieses vielarmige Werkzeug ist<br />
nichts anderes als der menschliche Leib, der selbst eine Art<br />
„Universalorgan" darstellt. Kunst, so heißt es veiter, sei<br />
das stärkste „Gewehr". Folgt man dem alten Sinn des Wortes,<br />
so umfaßt „Gewehr" alles, dessen sich der Mensch bedient, um<br />
sich negativer Bedingungen seines Lebens zu erwehren. Dazu<br />
gehören also nicht nur die Waffen im engeren Sinne, sondern<br />
jedes Instrument, das lebensdienlich ist: das Bearbeitungswerkzeug<br />
ebenso wie das Kriegswerkzeug, wie aber auch das<br />
kultische Werkzeug für die symbolische Handlung. Wenn allerdings<br />
Kunst als „Gewehr" im vielfältigen Sinne seiner möglichen<br />
Erscheinungen zur Grundeigenschaft menschlicher Natur<br />
erhoben wird, wenn Herder vom Menschen sagt, er sei „ganz<br />
Kunst", so ist damit offensichtlich nicht nur gemeint, daß der<br />
Mensch - anders als das Tier - auch über Kunstfertigkeiten<br />
verfüge. Vielmehr erscheint der Mensch überhaupt als* Wesen<br />
der Kunst, wobei sich im elementaren (und nicht etwa nur ästhetischen)<br />
Phänomen der Kunst Können und Wissen (die spätantiken<br />
Begriffe lauten: scientia und ars) vereinigen. Die<br />
Nähe des Herderschen Begriffs von Kunst zum Begriff des Handelns<br />
(Praxis) leuchtet unmittelbar ein, und daher ist es<br />
nicht verfehlt, Herders These über den Menschen, nach der er<br />
„ganz Kunst" sei, mit Gehlens Grundthese gleichzusetzen, die<br />
in Kürze formuliert lautet: „Der Mensch ist das handelnde<br />
Wesen." (Gehlen a.a.O. S.32)'<br />
i<br />
Herders anthropologische Grundeinsicht in den „Kunstcharakter"<br />
des Menschen erhält auch Profil und Differenzierung, wenn er<br />
phänomenal aufschlußreiche Hinweise darauf gibt, woraus die<br />
spezifisch menschlichen Kunstleistungen (heute würde man sagen:<br />
Handlungskompetenzen) sich ergeben. Denn die verschiedenen<br />
Kunstfertigkeiten, in denen sich das Kunstwesen des Menschen<br />
faktisch und geschichtlich realisiert, sind weder angeborene<br />
(denn dann wären sie Instinkt-Schemata) noch sind sie vorpro-<br />
grammierte Eigenschaften, die sich in Reifeschüben allmählich