PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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biologisch disponierter Abhängigkeiten und Gewaltverhältnisse<br />
zurücksinken, soziale Abhängigkeiten als Problem praktischer<br />
Vernunft annehmen. Herrschaft ist für ihn eine Frage der Besonnenheit,<br />
ein Begriff, in dem Herder alle Möglichkeiten der Ver-<br />
nunftäußerung zusammenschließt. Besonders deutlich wird das Eigen-<br />
tümliche des Humanphänomens Herrschaft an dem Sachverhalt der<br />
Selbstbeherrschung. Es scheint in der Tat dem Menschen vorbehalten<br />
zu sein, sich selbst beherrschen zu können und zu müssen.<br />
Aber was ist "Selbstbeherrschung"? Gemeinhin wird darunter die<br />
Tugend (Tüchtigkeit) verstanden, einen spontanen Reaktionsantrieb<br />
(z.B. spontan aufkommenden Zorn, Aggressivität) zu unterbrechen.<br />
Selbstbeherrschung bedeutet dann so viel wie Selbstkontrolle,<br />
die abbremsende Umwandlung eines Reaktionsantriebs in<br />
eine Handlungsdisposition, die auch in einem Handlungsverzicht<br />
bestehen kann. Der Bedeutung von Selbstbeherrschung im Sinne von<br />
Selbstkontrolle schließt sich die Interpretation von Selbstbe-<br />
herrschung als einer grundsätzlich moralischen Forderung an:<br />
Selbstbeherrschung gilt als eine ethisch geforderte Voraussetzung,<br />
die menschliches Zusammenleben aus Achtung vor dem anderen überhaupt<br />
möglich macht. (Heute hat die Forderung nach Selbstbeherrschung<br />
gelegentlich Kritik erfahren. Sie wurde, im Zuge einer<br />
Anwendung psychoanalytischer Denkmodelle, als Selbstunterdrückung<br />
interpretiert, die am Ende Gewaltpotentiale erzeuge). Für Herder<br />
ist Selbstbeherrschung - Herrschaft über sich selbst und durch<br />
sich selbst - vor allem derjenige anthropologische Grundbefund,<br />
an dem sich exemplarisch die Ausdrücklichkeit menschlichen Selbstseins<br />
darlegen läßt. Selbstbeherrschung ist für ihn vorzüglich<br />
Selbstreflexion in praktischer (und theoretischer) Absicht.<br />
Sie ist eines der wesentlichen Momente, durch die sich tierisches<br />
Leben und menschliche Existenz voneinander unterscheidet. Ein<br />
Tier kann und muß sich nicht selbst beherrschen - dem Menschen<br />
aber ist Selbstbeherrschung nicht nur moralische Pflicht, sondern<br />
existentielle Notwendigkeit. "Existentielle Notwendigkeit" -<br />
inwiefern? Insofern als diese Selbstbeherrschung das menschliche<br />
Selbst allererst hervorbringt. Herder sagt in der "Abhandlung