PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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Treffen diese Überlegungen zu/ dann gibt es keine Identität ohne<br />
Gegensatz - und keinen Gegensatz ohne Identität. Man kann auch<br />
sagen: jeder Akt der Identifizierung (Identifikation) schließt<br />
Akte der Unterscheidung und Entgegensetzungen ein. Darauf be-<br />
zieht sich Herder/ wenn er nach den "Triebfedern"mfragt, die<br />
H die die Verschiedenheit der Sprache unter den nahen Völkern sehr<br />
natürlich veranlassen müssen". (Abhandlung, S. 77) Und führt aus:<br />
Verschiedene "Stämme" mit je eigener "Familiendenkart 11 (und das<br />
heißt: mit je eigenen sprachlich artikulierten und tradierten<br />
Merkwelten) mußten zwangsläufig miteinander in "Zwist" geraten.<br />
"Nicht bloß, daß ähnliche Bedürfnisse sie bald in einen Streit...<br />
des Hungers und Durstes verwickeln ... ein viel heißerer Funke<br />
glimmt ihr Feuer an -Eifersucht, Gefühl der Ehre, Stolz auf ihr<br />
Geschlecht und ihren Vorzug. 11 (Abhandlung, S. 78 ff.) Zweifach<br />
sind also die "natürlichen" Gründe sprachliche: Differenzierungen.<br />
Sie liegen einmal auf der Ebene der Bedürfniskonkurrenz, dem<br />
Streit aus Prinzipien der Selbsterhaltung, und sie liegen - nach<br />
Herder sogar mehr noch - auf der Ebene emotiven Selbstbewußtseins,<br />
nämlich als Eifersucht, Ehre, Stolz und Selbstwert-bzw. Über-<br />
legenheitsempfinden. Und es ist vor allem diese zweite Ebene, auf<br />
der sich eine kollektive Identität ausprägt. Und hier geht es<br />
auch nicht um die Durchsetzung elementarer Lebensbedürfnisse,<br />
sondern um Ausbildung, Tradierung und Erhaltung von Selbst-und<br />
Weltbildern, von kulturellen Signaturen - oder in Herders eigenen<br />
Worten: von "Denkarten" -, deren Existenz und Fortbildung an Sprache<br />
gebunden ist. Wer nicht an einem Identität verbürgenden Selbst-<br />
bewußtsein und Unterscheidung ermöglichenden Selbst-und Weltbild<br />
partizipiert, gilt als Fremdling oder sogar als Barbar. Und<br />
dieser ist vor allem durch eine andere Sprache stigmatisiert,<br />
"da Sprache eigentlich Merkwort des Geschlechts, Band der Familie,<br />
Werkzeug des Unterrichts, Heldengesang von den Taten der Väter<br />
und die Stimme derselben aus ihren Gräbern war." (Abhandlung,<br />
S. 79) Das aber bedeutet, Sprache ist nicht nur ein Ensemble<br />
von Merkworten, mit denen eine eigentümliche menschliche Kultur-<br />
uinwelt bezeichnet wird, sondern sie ist als "Familiensprache"<br />
oder "Nationalsprache" selbst und insgesamt ein Identität markieren-<br />
des Merkmal, das Unterscheidungen trifft und Unterschiede festhält,