PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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Auch darin ist Herder also „modern" oder „neuzeitlich": in der<br />
Entwicklung (und Forderung) des historischen Bewußtseins, das<br />
Geschichte nicht über den Leisten einer Idee schlagen will,<br />
das nach Objektivität ruf t - und das doch nicht darauf verzichten<br />
will, sich im Umgang mit Geschichte über den Menschen zu<br />
belehren. Es klingt wie eine frühe Formulierung des Postulats<br />
der Ideologiekritik, wenn Herder schreibt: „Wer f s bisher unternommen,<br />
den Fortgang der Jahrhunderte zu entwickeln, hat meistens<br />
die Lieblingsidee auf der Fahrt: Fortgang zu mehrerer<br />
Tugend und Glückseligkeit einzelner Menschen. Dazu hat man alsdann<br />
facta erhöhet, oder erdichtet: gegenfacta verkleinert<br />
oder verschwiegen; ganze Seiten bedeckt; Wörter für Werke genommen,<br />
Aufklärung für Glückseligkeit, mehrere und feinere<br />
Ideen für Tugend - und so hat man von der allgemein-fortgehenden<br />
Verbesserung der Welt Romane gemacht - die keiner glaubte,<br />
wenigstens nicht der wahre Schüler der Geschichte und des menschlichen<br />
Herzens!" (a.a.O. S.608) Ideologisch also wäre die Erinnerung<br />
an menschliche Geschichte, die sie als Fortschritt<br />
konstruierte und Fortschritt gleichsetzte mit einer Zunahme an<br />
Tugendhaftigkeit und Glück. Herder aber hält es für unzulässig,<br />
Aufklärung mit Glück zu verbinden und die diskursive Differenzierung<br />
von (ethischen) Ideen bereits als moralischen<br />
Fortschritt zu betrachten. Der Christ und Theologe gibt den<br />
Werken den Vorzug. Eben sie sprechen die Sprache des menschlichen<br />
Herzens, über die gewissermaßen die Zungenfertigkeit<br />
des Verstandes leicht hinwegreden kann. Kritisch betrachtet<br />
Herder aber nicht nur die keineswegs uneigennützigen Fortschrittsoptimisten<br />
unter den Geschichtsphilosophen, die ihre<br />
eigene „Entwicklungshöhe" an der Vergangenheit demonstrieren<br />
und sie durch sie legitimieren wollen, kritisch, wenn auch<br />
vielleicht mit größerer Sympathie, werden auch die Kontrahenten<br />
der Optimisten, die „Skeptiker" eingeschätzt. Sie sehen<br />
„Laster und Tugenden, wie Klimaten, wechseln, Vollkommenheiten,<br />
wie einen Frühling von Blättern, entstehen und untergehen,<br />
menschliche Sitten und Neigungen, wie Blätter des Schicksals,<br />
fliegen, sich umschlagen - kein Plan! kein Fortgang! ewige