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PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv

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-85-<br />

bildung bezeichnen würde. Gemeint ist, Sprache konstituiert<br />

nicht nur kunsthafte Merk-Welten als notwendige Reduktion der<br />

Weltoffenheit, sondern die Konstitution dieser Merk-Welten ist<br />

zugleich die Grundlegung der individuellen und kollektiven<br />

Identität derjenigen, die sich in die Anerkennung und Tradition<br />

dieser Merk-Welten teilen. Kürzer gesagt: Sprache begründet nicht<br />

nur eine gegenständliche Umwe1t, vielmehr auch eine soziale<br />

Identität, ein Wir-Bewußtsein. Und so wie der Angehörige einer<br />

bestimmten Sprachgemeinschaft seine Umwelt im Sinne ihrer spezifi-<br />

schen Interpretation jeweils wiedererkennt, so erkennt er auch<br />

sich selbst in denjenigen wieder, die seine Artikulation der<br />

Welt im historischen Kontext teilen. Soziale Identität ist wesen-<br />

haft sprachlich vermittelt und sprachlich gesichert. Das gilt<br />

ebenso für die familiale wie für die nationale Identität. Ihnen<br />

kommt, wie Herder sagt, jeweils eine bestimmte "Denkart" (Ab-<br />

handlung, S. 87) zu. Identität nun, als lehrhafte Vermittlung<br />

oder unmittelbare Praxis einer Denkart, hat einen Doppelaspekt:<br />

sie schließt zusammen und^ sie schließt aus, begründet Selbstsein<br />

und Anderssein, sprachliche Einheit und Vielheit. Wie ist das<br />

zu verstehen? Herder bezieht sich hier offenbar.auf das Phänomen<br />

eines Schematismus, der heute als Freund-Feind-Schematismus<br />

sozialpsychologisch diskutiert wird. Gemeint ist das Prinzip<br />

einer ausschließenden Wechselseitigkeit, die Tatsache, daß<br />

Gruppenkohäsionen sich in dem Maße stabilisieren, indem die<br />

Gruppen ihr Selbstbild gegen Fremdbilder abzusetzen vermögen.<br />

Formaler ausgedrückt, jede Identität (als lebendige und ge-<br />

schichtliche Identität) setzt in ihrer Selbstbewußtheit etwas<br />

voraus, mit dem sie nicht identisch ist, wenngleich auch eine<br />

Art- und Wesensverwandtschaft gegeben sein muß, damit ein be-<br />

wußtes Nicht-Identifizieren überhaupt möglich ist. Im Sinne<br />

lebensnotwendiger Identitätsbildung ist also der andere nicht<br />

nur ein gleichgültiges "Alter ego", sondern ein Alter ego,<br />

das auf der Suche der eigenen Identität positiv oder negativ<br />

besetzt wird. Das gilt ebenso für den einzelnen anderen wie<br />

für das Kollektiv (die Gruppe) der anderen.

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