PDF-Datei: Pädagogische Anthropologie - Egon Schütz Archiv
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bildung bezeichnen würde. Gemeint ist, Sprache konstituiert<br />
nicht nur kunsthafte Merk-Welten als notwendige Reduktion der<br />
Weltoffenheit, sondern die Konstitution dieser Merk-Welten ist<br />
zugleich die Grundlegung der individuellen und kollektiven<br />
Identität derjenigen, die sich in die Anerkennung und Tradition<br />
dieser Merk-Welten teilen. Kürzer gesagt: Sprache begründet nicht<br />
nur eine gegenständliche Umwe1t, vielmehr auch eine soziale<br />
Identität, ein Wir-Bewußtsein. Und so wie der Angehörige einer<br />
bestimmten Sprachgemeinschaft seine Umwelt im Sinne ihrer spezifi-<br />
schen Interpretation jeweils wiedererkennt, so erkennt er auch<br />
sich selbst in denjenigen wieder, die seine Artikulation der<br />
Welt im historischen Kontext teilen. Soziale Identität ist wesen-<br />
haft sprachlich vermittelt und sprachlich gesichert. Das gilt<br />
ebenso für die familiale wie für die nationale Identität. Ihnen<br />
kommt, wie Herder sagt, jeweils eine bestimmte "Denkart" (Ab-<br />
handlung, S. 87) zu. Identität nun, als lehrhafte Vermittlung<br />
oder unmittelbare Praxis einer Denkart, hat einen Doppelaspekt:<br />
sie schließt zusammen und^ sie schließt aus, begründet Selbstsein<br />
und Anderssein, sprachliche Einheit und Vielheit. Wie ist das<br />
zu verstehen? Herder bezieht sich hier offenbar.auf das Phänomen<br />
eines Schematismus, der heute als Freund-Feind-Schematismus<br />
sozialpsychologisch diskutiert wird. Gemeint ist das Prinzip<br />
einer ausschließenden Wechselseitigkeit, die Tatsache, daß<br />
Gruppenkohäsionen sich in dem Maße stabilisieren, indem die<br />
Gruppen ihr Selbstbild gegen Fremdbilder abzusetzen vermögen.<br />
Formaler ausgedrückt, jede Identität (als lebendige und ge-<br />
schichtliche Identität) setzt in ihrer Selbstbewußtheit etwas<br />
voraus, mit dem sie nicht identisch ist, wenngleich auch eine<br />
Art- und Wesensverwandtschaft gegeben sein muß, damit ein be-<br />
wußtes Nicht-Identifizieren überhaupt möglich ist. Im Sinne<br />
lebensnotwendiger Identitätsbildung ist also der andere nicht<br />
nur ein gleichgültiges "Alter ego", sondern ein Alter ego,<br />
das auf der Suche der eigenen Identität positiv oder negativ<br />
besetzt wird. Das gilt ebenso für den einzelnen anderen wie<br />
für das Kollektiv (die Gruppe) der anderen.