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Karl. Ich darf dich der Unterstützung der Vogelwelt auf deinem<br />

Gang mit der Schneekönigin versichern.«<br />

Margarete konnte sich zu diesem Zeitpunkt kein Bild von<br />

dieser Aussage machen, aber sie freute sich, die Vögel zu sehen<br />

und hätte ihnen fast die Luft abgedrückt. Bevor dies jedoch<br />

geschehen konnte, teilte sich die Zeltplane abermals<br />

und Schneewind erschien, gefolgt vom größten Rentier, das<br />

Margarete je gesehen hatte. Es hatte ein hohes Alter, das Fell<br />

war fast weiß, doch darunter spielten stählerne Muskeln und<br />

es strahlte Autorität aus. Schneewind stellte vor: »Weishaupt<br />

von Weitlauf, mein Vater.«<br />

Dieses riesige Rentier sank nun vor Margarete auf die Knie<br />

und sprach also: »Ich grüße Sie, Menschenfrau Margarete.<br />

Ihr Name ist im Munde aller Lebewesen, die guten Willens<br />

sind und so darf auch ich Ihnen die Unterstützung aller Rentiere<br />

des Nordens zusagen. Schneewind, das Paket!«<br />

Der Angesprochene schüttelte ein Bündel von seinem Rücken<br />

und breitete es aus. Der Inhalt erwies sich als ein Anzug<br />

aus Rentierfell, feinstens gearbeitet.<br />

»In diesen Anzug«, erläuterte Schneewind, »haben wir<br />

Renmagie gearbeitet. Er wird Sie immer warm halten, denn<br />

es gibt keine Kälte, die ihn durchdringen würde.«<br />

»Herr Weishaupt, erheben Sie sich«, sagte Margarete rasch,<br />

»kein Mensch und kein Tier sollte vor einem anderen knien. Wir<br />

haben alle das gleiche Lebensrecht. Ich weiß überhaupt nicht,<br />

wie ich Ihnen danken soll. Ein einfaches Wesen aus einer kleinen<br />

Stadt bin ich, fast ein Landei, welches ins kalte Wasser geworfen<br />

wurde. Dennoch setze ich meine schwachen Kräfte für die gemeinsame<br />

Sache ein. Sie und die Raben machen mir wieder<br />

Mut, und ich muss sagen, dass ich solchen gut vertragen kann.«<br />

In diesem feierlichen Moment rollte Quasimodo ein Fass<br />

herein und miaute: »Freibier! Köstliches Gebräu aus Pilsen,<br />

das Original!«<br />

Man kann sich denken, wie das Gelage ausuferte: Die Raben<br />

zogen Zigarillos aus dem Gefieder – jeder Mensch weiß,<br />

woher sie das Zeug nehmen, sie stehlen es – und das Pilsener<br />

Bier war mit Bilsenkraut versetzt, das ist ein Halluzinogen<br />

und beides verschafft sogar einem Kater einen Kater – am<br />

nächsten Tag. Doch in einem stillen Moment, Margarete<br />

wollte vom Lärm entfernt sein und saß am Ufer des Weihers,<br />

setzte sich Mafalda neben sie und überreichte ihre Gabe.<br />

»Schau, was ich für dich habe, Seelchen«, sagte sie, »es<br />

ist nur ein Spieglein, aber es hat’s in sich. Klar, du kannst<br />

dich darin betrachten, du kannst aber auch mit mir Verbindung<br />

aufnehmen, oder mit Johannes – er ist ja nun auch<br />

mit dir verbunden – und darüber hinaus mit jedem, den du<br />

auf den Spiegel verpflichtest. Das Wichtigste aber ist, er reflektiert<br />

Magie. Halte ihn daher immer griffbereit. Die<br />

Schneekönigin, sie zaubert mit ihren Augen. Die leuchten<br />

dann wie ein blaues Licht, und darauf solltest du achten.<br />

Mach sie fertig, Liebchen!«<br />

Und dann ging alles viel zu schnell: der Morgen, der Aufbruch<br />

nach Spitzbergen, wo sich die Residenz der Schneekönigin<br />

befand, der Anblick der monumentalen Festung.<br />

Margarete fühlte sich wie auf einer Wolke: Abertausende von<br />

Rentieren folgten einer kleinen Gruppe um Schneewind,<br />

Weishaupt und ihr.<br />

Da war sie, die uneinnehmbare Festung der Schneekönigin,<br />

robust, breit und dräuend in der Schneelandschaft liegend.<br />

Siebte Geschichte: Ein Fall und ein Aufstieg<br />

Die Rentierherden schlossen sich zusammen und galoppierten<br />

rund um das Schloss herum, immer wieder und immer<br />

wieder; daraus ergab sich der Effekt eines Erdbebens höherer<br />

Kategorie, das rüttelte das Schloss gewaltig durch.<br />

Nicht einmal die kleinste der Verzierungen des Schlosses<br />

brach, doch es wurde so gewaltig durchgeschüttelt, dass die<br />

Schneekönigin sich bequemte, auf den Zinnen über dem<br />

Schlosstor persönlich zu erscheinen, eine zierliche weiße<br />

Gestalt, lieblich anzusehen, unschuldig aussehend und doch<br />

so gefährlich. Nun hob sie die Arme, eine Geste der Macht,<br />

denn damit rief sie ihre Heere.<br />

Die Rentiere hielten inne und formierten sich neu, denn<br />

nun kam aus dem Norden ein ganzes Heer Schneeflocken,<br />

aber sie fielen nicht vom Himmel herunter; der war ganz klar<br />

und glänzte von Nordlichtern. Die Schneeflocken liefen gerade<br />

auf der Erde hin, und je näher sie kamen, desto größer<br />

wurden sie. Sie hatten die sonderbarsten Gestalten; einige sahen<br />

aus wie hässliche, große Stachelschweine, andere wie<br />

ganze Knoten, gebildet von Schlangen, die nach allen Seiten<br />

ihre Köpfe hervor streckten, und andere wie dicke, kleine Bären<br />

mit fürchterlichen Tatzen.<br />

Doch nun kam wieder Bewegung in die Rentiere, sie<br />

teilten sich und nahmen das Schneeflockenheer in die<br />

Zange. Ohne Gnade trampelten sie die Schneeflocken in<br />

Grund und Boden, in kurzer Zeit war dies Heer gänzlich aufgerieben.<br />

Nun gab die Schneekönigin abermals Signal und düstere<br />

Wolken zogen auf. Es begann zu hageln; erst ganz normale<br />

kleine Hagelkörner, doch sie wurden größer und fester, erst<br />

faust-, dann kopfgroß. Dies machte den Rentieren doch arg<br />

zu schaffen und nicht wenige gingen zu Boden. Da geschah<br />

etwas Seltsames: Unübersehbare Vogelscharen tauchten am<br />

Horizont auf und verfinsterten den Himmel. Margarete erkannte<br />

hauptsächlich Raben und Krähen, aber auch andere<br />

Vogelarten, welche im Norden beheimatet sind. Die Vögel<br />

stürzten sich in die Hagelwolken, zerfledderten sie und trieben<br />

sie auseinander.<br />

No. 2 • Mai 2009 andromeda extended magazine www.sfcd.eu • p. 117

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