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»LARA!«, schrie sie nun mit schrecklicher Stimme, »Mach<br />
dich an die Arbeit, du faule Sau! Das Vieh muss gefüttert werden,<br />
die Ziegen in den Wald! Und nimm die Edelschlampe<br />
mit, die du gefangen hast. Die soll sich ihre feinen Finger<br />
ruhig mal schmutzig machen!«<br />
Lara verdrehte die Augen. »Na gut«, brummelte sie und<br />
griff zur Hundeleine, »dann wollen wir mal, bevor die Alte<br />
noch platzt.« So begann Gretes erster Tag unter Räubern.<br />
Das Vieh bestand aus drei Schweinen, die liefen im Burghof<br />
umher und versorgten sich mit den Essensresten der Bande<br />
weitgehend selbst, etwa zwanzig Hühner, sie bekamen<br />
Körner gestreut, und einer unbekannten Anzahl Katzen, um<br />
die man sich nicht kümmern musste. Im Stall befanden sich<br />
acht Ziegen, die mussten in den Wald getrieben und gehütet<br />
werden, aber nicht, bevor die zwei Pferde, die zurück geblieben,<br />
versorgt waren. Ganz hinten im Stall gab es noch<br />
eine Box, worin sich ein großes Tier befand. Grete ging näher<br />
heran und entdeckte zu ihrem großen Erstaunen ein Rentier,<br />
das dort traurig den Kopf hängen ließ.<br />
»Dazu sag ich dir später was«, ließ sich Laras Stimme<br />
hinter ihrem Rücken vernehmen. »Jetzt kommt erst mal das<br />
Schwerste: Wasser holen.« Also ergriffen die beiden Eimer<br />
und dann ging es wieder zum Bach und schwer beladen<br />
zurück. Danach trieb man die Ziegen in den Wald und das<br />
war der angenehmste Teil des Tages.<br />
Lara beobachtete ihre Gefangene aus den Augenwinkeln.<br />
Grete hatte sich die Leine zweimal um die Schulter geschlungen,<br />
damit sie nicht hinderlich war, und ging eben<br />
einer Ziege hinterher, die sich im Gebüsch verdrücken wollte.<br />
Warum lief diese Frau nicht weg? Zum ersten Mal seit dem<br />
Tod ihres Vaters hatte sie einen Menschen gefunden, der ihr<br />
zuhörte, der sie als vollwertige Person betrachtete und der sie<br />
ordentlich behandelte. Eine Frau, die scharf denken und ihr<br />
etwas erklären konnte und zu der sie sich auf seltsame Art<br />
hingezogen fühlte. Was war das für ein Wesen, das sie zweifelsohne<br />
gefangen hatte, das sich aber gar nicht wie eine Gefangene<br />
benahm, sondern wie … eine Freundin? Hatte sie<br />
überhaupt eine Freundin verdient? Sie war doch nur dumm,<br />
faul, nutzlos, hässlich und verdorben; die Mutter sagte ihr’s<br />
tagtäglich. Wieso konnte diese Grete dann nett zu ihr sein?<br />
Ein paar Tage später, Grete und Lara frühstückten gerade<br />
Fladenbrot mit Himbeermarmelade, ertönte auf dem Burghof<br />
Hufgetrappel eines einzelnen Reiters. Grete huschte in die<br />
Kammer gegenüber, die als Lagerraum benutzt wurde, denn<br />
von dort konnte man durch ein Fenster den Hof überblicken.<br />
Lara protestierte und wollte sie zurückhalten, doch die Ältere<br />
war schneller. Drunten war der Reiter abgestiegen und unterhielt<br />
sich angeregt mit Laras Mutter, die ihm soeben einen<br />
ansehnlichen Geldsack überreichte. Als der Fremde sich einmal<br />
umwandte, sah Grete sein Gesicht. Da erbleichte sie und<br />
trat so schnell vom Fenster zurück, dass sie die neben ihr<br />
stehende Lara fast zu Boden gerissen hätte.<br />
»Dieser Mensch«, flüsterte sie, »darf mich weder sehen,<br />
noch darf er wissen, dass ich hier bin. Es wäre mein Tod.«<br />
»Du kennst ihn also«, stellte Lara nüchtern fest, »das<br />
dachte ich mir schon. Keine Angst, von mir erfährt er nichts.<br />
Hoffentlich verplappert sich die Alte nicht. Der Kerl muss ein<br />
hohes Tier im Schloss sein, was macht er denn genau?«<br />
»Jetzt nichts mehr«, entgegnete Grete. »Aber vor ungefähr<br />
einem Jahr war er noch Innen- und Justizminister. Von daher<br />
hat er weitreichende Verbindungen und Beziehungen. Nach<br />
den Parlamentswahlen musste er in Pension gehen und,<br />
glaube mir, wir haben ihm selbige nicht nur angemessen,<br />
sondern auch reichlich vergoldet. So ein Schuft! Manche<br />
Leute kriegen einfach nicht den Hals voll«, und dabei sah sie<br />
Lara ins Gesicht.<br />
»M-hm«, meinte die nur und wurde ein bisschen rot.<br />
Die Alte verplapperte sich nicht; wahrscheinlich maß sie<br />
Grete keine größere Bedeutung zu und der Reiter zog<br />
alsbald von dannen. So konnten die beiden ungehindert die<br />
Ziegen in den Wald treiben und Grete hatte Gelegenheit,<br />
eine Frage zu stellen, die ihr schon lange auf der Zunge lag:<br />
»Sag mal, Lara, wie kommst du eigentlich mit den Kerlen<br />
klar?«<br />
»Ach, ganz gut«, lautete die dreisilbige Antwort und Lara<br />
schaute irgendwo hin.<br />
»Klingt nicht sehr überzeugend«, bohrte die junge Frau<br />
nach. »Eine Bande degenerierter Männer und ein kleines<br />
Mädchen mittendrin … da ist doch Ärger voraussehbar.<br />
Mach mir nichts vor.«<br />
»Och … die grabschen schon mal gerne«, Lara seufzte,<br />
»damit kann ich leben. Wenn … nur … äh … ach …«<br />
»Du hast schon einmal besser gestottert.«<br />
Nun rollten Tränen über Laras Gesicht, sie begann zu<br />
schluchzen und dann weinte sie eine Zeit lang. Grete legte<br />
tröstend den Arm um ihre Schultern und drückte das Mädchen<br />
an sich.<br />
»Da gibt es drei Kerle«, brach es schließlich aus Lara<br />
hervor. »Sie wurden bei Einsätzen verletzt und können nicht<br />
mehr gut reiten. Daher gehören sie immer zu denen, die auf<br />
der Burg zurückbleiben. Die ziehen mich schon mit den<br />
Augen aus. Ich versuche, ihnen zu entwischen, indem ich die<br />
Ziegen möglichst weit weg von der Burg weiden lasse und das<br />
täglich woanders. Das gelingt mir aber nicht immer.«<br />
»Und dann?« Ein kaltes Gefühl sammelte sich an Gretes<br />
Nacken und lief den Rücken hinunter.<br />
Lara explodierte: »Diese Scheißkerle! Sie sind immer zu<br />
dritt. Zwei halten fest und einer fickt. Ja, die Dreckschweine<br />
ficken mich in den Arsch oder in die Möse, wie es ihnen passt<br />
No. 2 • Mai 2009 andromeda extended magazine www.sfcd.eu • p. 99