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unscheinbar aussehender Magier erhob – man kennt diese<br />
Typen: lange Haare, Bart, Nickelbrille und die Klamotten<br />
voller Flecken in allen möglichen Farben. Man nannte ihn<br />
Muck, denn sein wahrer Name war unbekannt. In seinen<br />
Händen trug er einen seltsam aussehenden Stein.<br />
»Ihr Narren!«, rief er in die ausgelassene Meute, »dieser<br />
Gegenstand zeigt euch Trugbilder. Wenn ihr ihn zu oft benutzt,<br />
könnt ihr sehr bald nicht mehr Wirklichkeit von<br />
Traum unterscheiden. Dann lebt ihr ein Leben im Wahn und<br />
ihr werdet sang- und klanglos auf dem Müllhaufen der<br />
Geschichte landen. Ich sage euch, gebt dieses Spiegeldingsbums<br />
der Vernichtung anheim und zwar hiermit!« Dabei<br />
hielt er den seltsamen Stein in die Höhe.<br />
In den darauf folgenden Minuten gab der große Meistermagier<br />
zum Besten, dass man zum einen schon Steine ergebnislos<br />
auf das Wunderglas geworfen habe, zum andern stehe<br />
die Zerstörung des Gerätes auf gar keinen Fall zur Disposition.<br />
Doch der Mensch mit den langen Haaren, Bart,<br />
Nickelbrille und den Klamotten voller Flecken in allen möglichen<br />
Farben ließ nicht locker. Wieder hob er seinen Stein in<br />
die Höhe.<br />
»Dieser Stein«, sagte er, »ist der Ein-Stein, den ich aus<br />
einem Satz und einem Gegensatz selbst erschaffen habe.<br />
Somit …« Doch der Rest seiner Rede verendete in dem<br />
brüllenden Gelächter, das sich unter den Kollegen erhob.<br />
Hohn und Spott ergoss sich über ihn und es schien, als<br />
würden die Flecken auf seiner Kleidung darob noch<br />
schillernder schillern – aber das könnte auch eine<br />
Halluzination gewesen sein. Da tönten Rufe wie: »He, Muck,<br />
war’s Satz von Kaffee oder Mucke-Fuck!«, »Satz und Kaffeesatz,<br />
das gibt doch bloß einen Haufen Dreck!«, »Mach einen<br />
Satz nach Hause!« »Hast du die Kaffeemaschine ausgemacht,<br />
nachdem du den Kaffeesatz gelesen hast?«, »Konntest<br />
du lesen, wie das Wetter morgen wird?« und so weiter und so<br />
weiter.<br />
Da durchfuhr den kleinen Magus ein sehr, sehr großer<br />
Zorn. Er holte aus und warf. Der Spiegel zerbarst in Millionen<br />
winzigster Stückchen, die von einem unberechenbaren Wind<br />
umgehend aus dem Saal und über die Welt geweht wurden.<br />
Hätte der Magier geahnt, dass er damit weit größeres Unglück<br />
verursachte, vielleicht hätte er nicht geworfen. Denn die<br />
Splitter senkten sich auf die Menschen hernieder und wem<br />
sie ins Auge kamen, dem wurde Schönes übel, Buntes farblos<br />
und Wohlschmeckendes fad. Kam einem Menschen eine<br />
Scherbe ins Herz, so wurde dieser kalt, berechnend und grausam,<br />
er beutete seine Mitmenschen aus und verkaufte sie<br />
tagtäglich.<br />
Und die Splitter fliegen heute immer noch, das nebenbei,<br />
aber was sie mit unserer Geschichte zu tun haben, das<br />
werden wir ja noch erleben.<br />
Erste Geschichte: Ein Junge und ein Mädchen<br />
Drinnen in der Stadt, da gibt es Häuser, vor allem in den<br />
älteren Vierteln, wo die ärmeren Menschen wohnen,<br />
die sind unten weit genug auseinander gebaut, um<br />
einer Gasse Platz zu machen. Nach oben werden<br />
die Stockwerke zur Gasse hin ein paar Spannen<br />
weiter, sodass die Giebel sich manchmal fast<br />
berühren. In zwei ebensolchen Dachzimmer-<br />
wohnungen, genau gegenüber, lebten zwei<br />
arme Kinder mit ihren Eltern. Selbige arbei-<br />
teten in der großen Fabrik, sehr hart und sehr<br />
viele Stunden. Die Kinder, oft sich selbst über-<br />
lassen, waren solcherart zusammen aufgewach-<br />
sen. Obwohl nicht Bruder und Schwester, lieb-