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auch nur dann konsumiert. Der nicht mehr so ganz majestätische<br />

Paps zog sich beleidigt in den Weinkeller zurück. Ja, so<br />

vergingen die Tage.<br />

Nächtens schlief Grete im rot-weißen Bett des Prinzenpaares,<br />

denn groß genug war das ja. Auch hier gab es mancherlei<br />

aufregende Dinge zu lernen. Ihre neuen Freunde<br />

zeigten ihr, wie man mit seiner Zunge, seinen Lippen, seinen<br />

Händen einen Menschen in schieres Verzücken versetzen<br />

konnte. Weitergehende Praktiken überließ sie den beiden<br />

anderen, denn so was wollte sie für Karl aufheben. Dennoch<br />

waren Amelie und Hans imstande, Grete immer wieder einen<br />

gefühlsmäßigen Höhepunkt zu verschaffen. Beim ersten Mal<br />

war ihr, als versinke sie tief in sich selbst, vorbei an Gegenständen<br />

und Welten, die sie nicht in Worte fassen konnte.<br />

Gleichzeitig glaubte sie aufzusteigen, denn alles wurde<br />

immer heller und bunter. Dabei überkam sie ein stets stärker<br />

werdendes Glücksgefühl, das sich zuletzt in einer grellen<br />

Explosion auflöste und sie schwer atmend zurückließ. Die<br />

anderen Male erlebte sie wieder etwas ganz anderes, es war<br />

immer herrlich; Prinz und Prinzessin nannten es Orgasmus.<br />

Natürlich und selbstverständlich wollten die beiden die Grete<br />

damit auch ein bisschen bestechen, noch länger bei Hofe zu<br />

verweilen, was auch gelang. Denn wer solche Reformen in<br />

einem solchen Staat angeht, der braucht Verbündete, auf die<br />

man sich verlassen kann. Und das, was Freunde am Besten<br />

zusammenschweißt, ist die Liebe.<br />

So verging ein Jahr und noch ein halbes und dann<br />

geschahen mehrere Dinge auf einmal. Amelie wurde Mama.<br />

Paps holte man auf einer Trage aus dem Weinkeller und<br />

verbrachte ihn in eine Suchtklinik. Gerald von Rabenklau<br />

setzte sich auf Gretes Schreibpult und verkündete: »Meine<br />

Verwandten, die Krähen haben mir dies berichtet: Karl ist<br />

Gefangener der Schneekönigin. Selbige residiert in ihrem<br />

Eiskristallpalast im hohen Norden. In diese Richtung musst<br />

du reisen, willst du ihn je wiedersehen.«<br />

Und so kam es an einem warmen Sommertag, dass Grete<br />

eine der königlichen goldenen Kutschen bestieg, bestens versorgt<br />

mit Kleidung, Proviant und Geld. Fast der gesamte Hofstaat<br />

war versammelt, um die junge Frau zu verabschieden –<br />

die Prinzregenten verdrückten ein paar Tränchen – und alle<br />

winkten, als das Gefährt durchs Schlosstor in Richtung<br />

Norden davon rollte.<br />

Vierte Geschichte: Lara Räubertochter<br />

Das Reisen in der königlichen Kutsche erwies sich als ausgesprochen<br />

angenehm. Federn und Polster fingen die Stöße<br />

des Wagens ab, sodass Grete sich bequem zurücklehnen und<br />

die Landschaft an sich vorüberziehen lassen konnte. So war<br />

sie viele Stunden unterwegs, als die Landstraße durch einen<br />

tiefen dunklen Wald führte. Und da war es vorbei mit der<br />

Ruhe. Plötzlich knallten draußen Schüsse, die Kutsche wurde<br />

langsamer und stoppte schließlich, und als Grete sich aus<br />

dem Fenster beugte, konnte sie von dem Kutscher nur noch<br />

Staub und Absätze erkennen. Fast gleichzeitig riss jemand die<br />

Wagentür auf der anderen Seite auf, ein merkwürdiges Geschöpf<br />

schlüpfte herein und ließ sich Grete gegenüber nieder.<br />

Das musste wohl ein Mädchen oder eine junge Frau sein,<br />

vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als sie, soweit man das<br />

unter dem vielen Schmutz erkennen konnte. Das Haar war<br />

rabenschwarz, wenngleich ungepflegt, struppig und schlecht<br />

geschnitten. Gekleidet war das junge Ding mit verschlissenen<br />

und viel zu großen alten Uniformteilen. Es fuchtelte mit einem<br />

altmodischen Dolch vor ihrem Gesicht herum und gab<br />

sich die größte Mühe, Furcht einflößend zu wirken. Als die<br />

Kutsche mit einem Ruck wieder anfuhr, legte die Erschei-<br />

nung den Dolch beiseite, kramte einen wenig sauberen Beutel<br />

hervor und hielt ihn Grete unter die Nase.<br />

»Deinen Schmuck, dein Geld, hier hinein, du Luxushure!«,<br />

forderte sie barsch. »Du bist Gefangene der Volksbefreiungsfront.«<br />

Grete, ob derlei Titulierung etwas betroffen, schwante, dass<br />

sie es hier mit einem schwierigen Problemfall zu tun haben<br />

würde. Längst nicht so angstfrei, wie sie sich gab, entschloss<br />

sie sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. So gab sie<br />

den Schmuck, den sie offen trug, sowie die paar Goldtaler aus<br />

ihrer Reisetasche in das Behältnis; was sie am Leibe trug,<br />

verheimlichte sie jedoch. Ob ein Gespräch die Situation entspannen<br />

würde?<br />

»Volksbefreiungsfront?«, fragte sie gedehnt. »Das sieht<br />

mir aber verdächtig nach Straßenräuberei aus. Und weißt du<br />

überhaupt, was eine Hure ist?«<br />

»Maul halten!«, blaffte die Göre und tastete wieder nach<br />

ihrem Dolch. Gefangene konnten unberechenbar sein, man<br />

wusste nie … »Huren sind böse, schlechte, liederliche<br />

Weiber, das hat mir meine Mutter erzählt. Wart nur, bis wir<br />

zu Hause sind, da werd ich dich Mores lehren.«<br />

»Hure«, entgegnete Grete ungerührt mit der ihr eigenen<br />

Geduld, »ist eine abfällige Bezeichnung für eine Frau, die<br />

Liebesdienste gegen Bezahlung leistet. Bei Hofe nennt man<br />

das Prostitution. Daran ist weder etwas Böses noch etwas<br />

Schlechtes, doch habe ich diesen Beruf mein Lebtag nicht<br />

ausgeübt.« Darauf schwieg ihr Gegenüber verunsichert und<br />

funkelte sie nur noch mit ihren dunklen Augen an. Nun ja,<br />

besser als gar nichts.<br />

Als die Dämmerung hereinbrach, kam die Kutsche im Hof<br />

einer düsteren, verfallenen Burg zum Stehen. Die schmutzstarrende<br />

Möchtegern-Partisanin stieß Grete derb aus dem<br />

Gefährt. Verwegen aussehende Gestalten standen darum he-<br />

No. 2 • Mai 2009 andromeda extended magazine www.sfcd.eu • p. 95

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