Wir bleiben draußen!
Wir bleiben draußen!
Wir bleiben draußen!
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der »gewöhnliche Aufenthalt«<br />
1.4. Der unbestimmte Rechtsbegriff des »gewöhnlichen Aufenthalts«<br />
Auf den unbestimmten Rechtsbegriff des<br />
»gewöhnlichen Aufenthalts« muss besonderes<br />
Augenmerk gelegt werden, weil die Auslegung<br />
dieses Tatbestandmerkmals darüber entscheidet,<br />
ob ein Flüchtling schulpflichtig ist oder nicht.<br />
Darüber hinaus findet dieser Rechtsbegriff in<br />
neun »Schulgesetzen« der Bundesländer Verwendung.<br />
Darunter befinden sich sieben Bundesländer,<br />
die die Schulpflicht von Flüchtlingen anhand<br />
des »gewöhnlichen Aufenthalts« in ihrem Bundesland<br />
verneinen 6 .<br />
1.4.1. Der »gewöhnliche Aufenthalt« in<br />
der Literatur und Rechtsprechung<br />
Einigkeit besteht in der schulgesetzlichen juristischen<br />
Kommentar-Literatur darüber, dass sich<br />
der »gewöhnliche Aufenthalt« allein anhand der<br />
tatsächlichen Verhältnisse bestimmt. Es kommt<br />
nicht auf den Willen der betreffenden Person an,<br />
sondern vielmehr darauf, ob ein Aufenthalt von<br />
gewisser Dauer anzunehmen ist. Es muss nicht<br />
der Lebensmittelpunkt gegeben sein, aber ohne<br />
jeglichen örtlichen Bezug kann der gewöhnliche<br />
Aufenthalt nicht bejaht werden 7 .<br />
Was ist ein unbestimmter Rechtsbegriff ?<br />
»Unbestimmte Rechtsbegriffe« sind von der<br />
Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich voll<br />
rechtlich überprüfbar. Sie sind nach Sinn und<br />
Zweck der gesetzlichen Grundlage durch die<br />
zuständige Behörde anzuwenden. Damit können<br />
die Gerichte darüber befinden, ob eine<br />
Behörde einen »unbestimmten Rechtsbegriff«<br />
und seine Anwendung richtig umgesetzt hat.<br />
Zuständige Gerichtsbarkeit bei Rechtsstreitigkeiten<br />
bezüglich der Schulgesetzgebung sind<br />
in der Regel die Verwaltungsgerichte.<br />
Nahezu identische Kriterien greift die Legaldefinition<br />
des § 30 III 2 SGB 1 für die Definition des<br />
»gewöhnlichen Aufenthalts« auf. Danach hat<br />
»jemand dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt,<br />
wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen<br />
lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem<br />
Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt«. Die<br />
Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs<br />
des »gewöhnlichen Aufenthalts« innerhalb der<br />
Schulgesetz- und Sozialgesetzgebung ist von Sinn<br />
und Zweck der zugrundeliegenden Gesetzesintention<br />
artverwandt. Deswegen kann die Begriffsbestimmung<br />
des § 30 III 2 SGB 1 als Auslegungshilfe<br />
für den schulgesetzlichen Rechtsbegriff des<br />
»gewöhnlichen Aufenthalts« herangezogen werden.<br />
Gleiches gilt für die hierzu ergangene Rechtsprechung.<br />
Das Bundessozialgericht (BSG) geht<br />
davon aus, dass der Begriff des »gewöhnlichen<br />
Aufenthalts« nur unter Berücksichtigung von<br />
Sinn und Zweck des jeweiligen Gesetzes<br />
bestimmt werden kann, in welchem der Begriff<br />
gebraucht wird 8 . Bei Asylbewerbern und bei<br />
geduldeten Ausländern sei der »gewöhnliche<br />
Aufenthalt« zu bejahen, wenn Umstände gegeben<br />
sind, dass sie sich auf unbestimmte Zeit in<br />
Deutschland aufhalten werden 9 . Dies ist insbesondere<br />
dann gegeben, wenn ein Abschiebungshindernis<br />
auf unabsehbare Zeit besteht. Auf den<br />
Willen des Betroffenen soll es nicht ankommen.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) interpretiert<br />
den Teilbereich des § 30 III 2 SGB 1<br />
»nicht nur vorrübergehendes Verweilen« in der<br />
Form, dass die betreffende Person sich an dem<br />
Ort oder in dem Gebiet »bis auf weiteres« im<br />
Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält<br />
und den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehung hat.<br />
Ein dauernder oder längerer Aufenthalt ist nicht<br />
erforderlich 10 .<br />
Aus der Legaldefinition des § 30 III 2 SGB 1<br />
können demnach wiederum das »Zeitmoment«<br />
und die »tatsächlichen örtlichen Umstände« für<br />
die Auslegung des »gewöhnlichen Aufenthalts«<br />
im schulgesetzlichen Bereich verwendet werden.<br />
Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann nur<br />
begrenzt Berücksichtigung finden. Hierzu zählen,<br />
dass der Rechtsbegriff des »gewöhnlichen Aufenthalts«<br />
unter Berücksichtigung von Sinn und<br />
Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes<br />
bestimmt werden muss und tendenziell der Mittelpunkt<br />
der Lebensbeziehungen, unabhängig<br />
vom Willen der betreffenden Person, an der Örtlichkeit<br />
gegeben sein muss.<br />
Nicht zu verwenden ist die Auffassung des<br />
BSG, dass sich die Person auf »unbestimmte<br />
Zeit« in Deutschland aufhalten muss. Gleiches<br />
gilt für den Begriff des »zukunftsoffenen Verbleibs«<br />
des BVerwG. Diese Auslegungen sprengen<br />
den Rahmen der zulässigen Auslegung des<br />
Wortlauts der Definition des § 30 III 2 SGB 1, der<br />
gerade darauf abstellt, dass jemand nicht nur<br />
vorrübergehend in Deutschland verbleibt.<br />
In einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs<br />
BayVGH aus dem Jahre 2002<br />
aus dem Bereich der Schulgesetzgebung wurde<br />
festgestellt, dass die Kinder bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge<br />
ihren »gewöhnlichen Aufenthalt«<br />
im Bundesgebiet hatten und deswegen (in<br />
Bayern) schulpflichtig waren. 11<br />
Das Gericht führte hierzu aus, dass der Rechtsbegriff<br />
des »gewöhnlichen Aufenthalts« nur<br />
unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des<br />
17<br />
terre der hommes