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Schulpflicht versus Schulrecht<br />

1.6. Warum die Einführung der allgemeinen Schulpflicht für<br />

Flüchtlinge geboten ist<br />

24<br />

terre der hommes<br />

Die Schulpflicht stellt sicher, dass jeder Mensch<br />

im schulfähigen Alter das ihm zustehende Recht<br />

auf Bildung und Erziehung verwirklichen kann.<br />

Damit dient die Schulpflicht in erster Linie dem<br />

Kindeswohl und stellt sicher, dass das sich noch<br />

in der Entwicklung befindende Kind auch von<br />

staatlicher Seite eine gewisse Bildungsgarantie<br />

erhält, die ihm in der Zukunft ermöglicht, ein<br />

autonomes Leben innerhalb der (Welt-)Gesellschaft<br />

führen zu können. Dieses Recht (Pflicht)<br />

soll und muss gerade auch unabhängig vom elterlichen<br />

Erziehungsrecht (Art. 6 II GG) Bestand<br />

haben, das zwar auch unter der unabänderlichen<br />

Doktrin des Kindeswohls steht; letztlich muss<br />

aber sichergestellt sein, dass das Kind zum eigenen<br />

Wohl unabhängig vom Willen der Eltern zum<br />

Schulbesuch verpflichtet ist.<br />

Für das Bundesverfassungsgericht ergibt sich<br />

die Schulpflicht aus dem verfassungsrechtlich<br />

anerkannten staatlichen Erziehungsauftrag (Art.<br />

7 I GG). 74 Das Bundesverwaltungsgericht spricht<br />

von der durch Art. 7 I GG gedeckten Begründung<br />

einer allgemeinen Schulpflicht. 75<br />

Der Inhalt und die Erfüllung der Schulpflicht<br />

erstrecken sich auf die regelmäßige Teilnahme am<br />

Unterricht und den übrigen verbindlichen Veranstaltungen<br />

der Schule. Wesentlich ist dabei auch,<br />

dass die Eltern schulpflichtiger Kinder diese zum<br />

Besuch der Schule anmelden und sicherstellen<br />

müssen, dass sie am Unterricht und den sonstigen<br />

verbindlichen Veranstaltungen teilnehmen. 76<br />

Auf der anderen Seite bedeutet die staatlich<br />

angeordnete Schulpflicht, dass der Staat seinerseits<br />

verpflichtet ist, die Voraussetzung für ihre<br />

Erfüllung zu schaffen. Die staatlichen Meldebehörden<br />

sind somit gehalten, die Schulträger<br />

davon in Kenntnis zu setzen, dass sich ein demnächst<br />

schulpflichtiges Kind in ihrem Zuständigkeitsbereich<br />

aufhält. Diese rechtliche Verpflichtung<br />

besteht nicht bei Flüchtlingskindern, die der<br />

allgemeinen Schulpflicht nicht unterliegen. Gleiches<br />

gilt für Maßnahmen, um den Schulbesuch<br />

von Kindern durchzusetzen, die unregelmäßig<br />

zur Schule kommen.<br />

Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestellt<br />

werden, inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

aus Art. 3 I GG und das auf Grund von Art. 2<br />

I GG vom BVerfG festgestellte Recht auf eine<br />

möglichst ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit<br />

gerade auch im Bereich der Schule es<br />

erfordern, dass auch Flüchtlinge dem staatlichen<br />

Erziehungsregime und damit der Schulpflicht zu<br />

unterstellen sind. Anders gewendet: Besteht überhaupt<br />

de facto ein sachlich gerechtfertigter Grund<br />

für eine Ungleichbehandlung von Flüchtlingskindern<br />

und -jugendlichen gegenüber anderen Kindern<br />

und Jugendlichen in Deutschland?<br />

1.6.1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz im<br />

Bildungsbereich (Art. 3 I III GG)<br />

Der aus Art. 3 I GG resultierende Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

im Bildungsbereich bewirkt, dass<br />

jedem Schüler die gleiche Chance zur Entwicklung<br />

seiner Persönlichkeit einzuräumen ist. Dies<br />

gilt im Grundsatz auch für Flüchtlinge. Die oben<br />

genannten – die Schulpflicht für Flüchtlinge verneinenden<br />

– Bundesländer verweisen darauf,<br />

dass der »gewöhnliche Aufenthalt« im Sinne der<br />

jeweiligen Schulgesetzgebung zu verneinen ist,<br />

weil durch die Kürze des Aufenthalts und des<br />

unsicheren Aufenthaltsstatus (Duldung, Aufenthaltsgestattung)<br />

in der Bundesrepublik Deutschland<br />

die Schulpflicht nicht gerechtfertigt sei. In<br />

Baden-Württemberg will man z. B. das Kind nicht<br />

mit der einen Hand zum Flugplatz bringen und<br />

mit der anderen in die Schule. Damit dieser Konflikt<br />

vermieden wird, soll zunächst der Ausgang<br />

des Verfahrens abgewartet werden. Bis dahin<br />

wird auf das freiwillige Schulantragsrecht (Schulbesuchsrecht)<br />

verwiesen.<br />

Was bei dieser zunächst plausibel erscheinenden<br />

Argumentationskette allerdings vollkommen<br />

außer Acht gelassen wird, ist das grundrechtlich<br />

abgesicherte Kindeswohl, dass gerade auch unter<br />

dem Schutz des Staates steht, sowie die Zeitspannen,<br />

die Flüchtlingskinder tatsächlich in<br />

Deutschland verweilen bis sie in ihre Heimatländer<br />

zurückkehren können.<br />

Das immer wieder angeführte Argument der<br />

kurzen Verweildauer dieser Personengruppen in<br />

der Bundesrepublik Deutschland kann nicht<br />

überzeugen. Diese theoretische Annahme ist, im<br />

Lichte der bestehenden Flüchtlingspraxis<br />

betrachtet, nicht zu halten. Wie bereits oben<br />

angeführt, betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer<br />

von Asylbewerbern (BAFL, erste und<br />

zweite Instanz vor den Verwaltungsgerichten)<br />

36,4 Monate im Jahr 2001. 77<br />

Im Jahre 2002 hielten sich in Deutschland<br />

415.000 sogenannte De-facto-Flüchtlinge auf.<br />

Davon lebten zum Jahresende 2002 ca. 227.000<br />

Menschen mit einer ausländerrechtlichen Duldung<br />

in Deutschland. Betrachtet man die Aufenthaltsdauer<br />

dieser Personengruppe genauer, so<br />

stellt man fest, dass sich ein beträchtlicher Teil<br />

bereits seit mehreren Jahren hier aufhält: So hielten<br />

sich 146.838 Ausländer, die bereits am 1.<br />

Januar 1998 hier lebten, im August 2002 immer<br />

noch mit einer Duldung in Deutschland auf. Von<br />

diesen geduldeten Ausländern lebten 78.487 Per-

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