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Schulpflicht versus Schulrecht<br />

sonen sogar seit mehr als neun Jahren und 12.531<br />

Personen seit mehr als zwölf Jahren in Deutschland.<br />

78<br />

Dass die betroffene Personengruppe in den<br />

jeweiligen Bundesländern in der Regel über mehrere<br />

Jahre bleibt und gerade nicht innerhalb kürzester<br />

Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrt,<br />

kann auf Basis statistischer Erhebungen<br />

anschaulich belegt werden.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, dass<br />

Flüchtlinge im Sinne der Schulgesetze in einem<br />

Bundesland nicht ihren »gewöhnlichen Aufenthalt«<br />

haben oder »wohnen« und damit nicht der<br />

Schulpflicht unterliegen, zumindest unter dem<br />

Gesichtspunkt der Verweildauer mit einem<br />

großen Fragezeichen zu versehen.<br />

Damit fehlt es an einem sachlichen Grund für<br />

eine Ungleichbehandlung nach Art 3 I GG. Die<br />

Annahme eines sachlich gerechtfertigten Grundes<br />

im Hinblick auf die vergleichsweise kurze<br />

Verweildauer von Flüchtlingen in Deutschland ist<br />

theoretischer Natur und de facto nicht gegeben.<br />

Damit verstoßen die einzelnen gesetzlichen Regelungen<br />

(Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften)<br />

bzw. deren Auslegung durch die<br />

zuständigen Behörden gegen geltendes Verfassungsrecht.<br />

Eine Ungleichbehandlung von<br />

Flüchtlingen im schulpflichtigen Alter gegenüber<br />

anderen Kindern im Hinblick darauf, dass Flüchtlingen<br />

nur ein freiwilliges Schulantragsrecht eingeräumt<br />

wird, ist mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz<br />

aus Art. 3 I GG nicht vereinbar.<br />

Dass die Verwaltung durch die bestehende Praxis<br />

des Schulantragsrechts/Schulbesuchsrechts<br />

regelmäßig Flüchtlingen den Schulbesuch nicht<br />

mehr ohne weiteres verweigern kann (Selbstbindung<br />

der Verwaltung, Art. 3 GG), was in der Praxis<br />

wohl auch überwiegend nicht getan wird,<br />

kann über die zuvor festgestellten Nachteile nicht<br />

hinwegtäuschen.<br />

1.6.2. Das Kindeswohl und das Recht auf<br />

Bildung<br />

Ein umfassendes Recht auf Bildung und Erziehung<br />

im Sinne eines individuellen Anspruchs<br />

(subjektiv-öffentliches Recht) ist dem deutschen<br />

Verfassungsrecht (Grundgesetz und Länderverfassungen)<br />

zwar nicht zu entnehmen, dennoch<br />

stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Art.<br />

2 I GG das Recht auf eine möglichst ungehinderte<br />

Entfaltung der Persönlichkeit gerade auch im<br />

Bereich der Schule garantiert. Es ergibt sich weiter<br />

aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG, Art. 3 I GG,<br />

Art. 20 I GG (Grundrechte, Gleichheitssatz, Sozialstaatsprinzip)<br />

ein Anspruch auch für Flüchtlinge<br />

auf Zugang zu den bestehenden Bildungseinrichtungen<br />

der einzelnen Bundesländer der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Dieser Anspruch ergibt<br />

sich zum einen aus dem Grundgesetz, zum anderen<br />

aus den Länderverfassungen, die überwiegend<br />

ein Recht auf Bildung festgeschrieben<br />

haben.<br />

Das Kindeswohl ist unabhängig von etwaigen<br />

Faktoren, wie Rasse, Herkunft, Nationalität und<br />

insbesondere auch vom Aufenthaltsstatus zu<br />

betrachten. Kinder und Jugendliche befinden sich<br />

in einer Lebensphase, in der sich die Persönlichkeitsstruktur<br />

gerade entwickelt. Darauf hat das<br />

Elternhaus (sofern überhaupt vorhanden), aber<br />

auch die staatliche Schulerziehung erheblichen<br />

Einfluss. Sinn und Zweck der rechtlichen Regelungen<br />

des Ausländerrechts und des staatlichen<br />

Auftrags Schulerziehung von Kindern gehen diametral<br />

auseinander. Diese beiden Zwecke im<br />

Rahmen der Beschulung von Flüchtlingen zu vermischen,<br />

indem man im Ergebnis in Abhängigkeit<br />

vom Aufenthaltsstatus die Schulpflicht verneint,<br />

ist nicht sachgerecht und wird auch dem Sinn<br />

und Zweck der gesamten Schulgesetzgebung und<br />

sämtlicher verfassungsrechtlicher bzw. internationaler<br />

Regelungen, die den Bildungsbereich ungeachtet<br />

der Nationalität aufgreifen, nicht gerecht.<br />

Dies erklärt auch, warum die Einschränkung der<br />

Schulpflicht von Flüchtlingen im Wesentlichen<br />

durch Verwaltungsvorschriften der jeweiligen<br />

Bundesländer vorgenommen wird. 79<br />

Aus den Schulgesetzen als Rechtsgrundlage für<br />

die Schulpflicht der Kinder und Jugendlichen in<br />

Deutschland ergibt sich nicht ausdrücklich, dass<br />

diese Gruppe von Menschen hiervon ausgeschlossen<br />

werden soll. Somit wird auf Grund von<br />

untergesetzlichen Normen (Verwaltungsvorschriften)<br />

eine zumindest augenscheinlich nicht<br />

gerechtfertigte Ungleichbehandlung dieser Kinder<br />

gegenüber deutschen Kindern vorgenommen.<br />

Zwar wird diesen Kindern das freiwillige Schulantragsrecht<br />

eingeräumt. Der Staat versucht sich<br />

jedoch mit dieser Maßnahme aus seiner umfassenden<br />

schulischen Fürsorgepflicht gegenüber<br />

diesen Kindern herauszunehmen, was zu substanziellen<br />

Nachteilen dieser Kinder führt. Das<br />

Kindeswohl ist erheblich gefährdet, wenn ein<br />

Kind nur unregelmäßig oder gar nicht zur Schule<br />

geht. Der Staat ist verpflichtet, mit sämtlichen<br />

ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen,<br />

im Interesse der kindlichen Persönlichkeit<br />

zu intervenieren. Grundvoraussetzung ist hierfür,<br />

dass die benannte Personengruppe unabhängig<br />

vom Aufenthaltsstatus in das geregelte Verfahren<br />

der Schuladministration mit aufgenommen wird.<br />

Damit sollte eine Bewusstseinsveränderung<br />

innerhalb der für die Beschulung zuständigen<br />

Behörden dahingehend ermöglicht werden, dass<br />

Menschen mit Flüchtlingshintergrund als gleichwertige<br />

Individuen mit in die Schule aufgenommen<br />

werden und sie im Sinne des erzieherischen<br />

Auftrags der Schule eine adäquate Betreuung<br />

erfahren. Die Schule ist Hort des Lernens und<br />

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terre der hommes

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