Wir bleiben draußen!
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Der »gewöhnliche Aufenthalt«<br />
18<br />
terre der hommes<br />
jeweils anzuwenden Gesetzes ausgefüllt werden<br />
kann. Anknüpfend an die tatsächlichen Verhältnisse<br />
habe eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt<br />
dort, wo sich der Schwerpunkt ihrer<br />
sozialen und beruflichen Bindung, ihr Daseinsmittelpunkt<br />
befindet. Sinn und Zweck der Schulpflicht<br />
sei es, den Menschen eine hinreichende<br />
Bildung zu vermitteln, was auch im Sinne des<br />
Gemeinwesens sei. Im schulrechtlichen Sinne sei<br />
eine Bindung an das Kriterium eines zukunftsoffenen<br />
Verbleibs (s. o. BVerwG) in der Bundesrepublik<br />
Deutschland zu eng. Unter Berücksichtigung<br />
der besonderen Bedeutung des Schulbesuchs<br />
für ein Kind und der kaum möglichen<br />
Nachholung einer unterlassenen Beschulung,<br />
erschien es dem Gericht sachgerecht, einen<br />
»gewöhnlichen Aufenthalt« im schulrechtlichen<br />
Sinne anzunehmen, wenn im Zeitpunkt<br />
des möglichen Schulbesuchs eine Beschulung<br />
des Kindes für einen sinnvollen Zeitraum möglich<br />
erscheint. Im Allgemeinen soll davon auszugehen<br />
sein, wenn es hinreichend wahrscheinlich<br />
ist, dass das betroffene Kind das kommende<br />
Schuljahr (in Bayern) durchlaufen kann.<br />
Damit stellt das Gericht explizit für den im<br />
schulgesetzlichen Bereich verwendeten Rechtsbegriff<br />
des »gewöhnlichen Aufenthalts« das Auslegungskriterium<br />
des »Möglicherscheinens einer<br />
Beschulung für einen sinnvollen Zeitraum« für<br />
Flüchtlinge auf.<br />
Damit ist zumindest dann, wenn eine Beschulung<br />
unter pädagogischen Gesichtspunkten zeitlich<br />
sinnvoll erscheint, was bei den meisten<br />
Flüchtlingen de facto der Fall ist, von einem<br />
»gewöhnlichen Aufenthalt« des Ausländers und<br />
damit bestehender Schulpflicht auszugehen.<br />
In den Definitionen des »gewöhnlichen Aufenthalts«<br />
der schulgesetzlichen Literatur wird<br />
Sinn und Zweck der Schulgesetzgebung nicht<br />
berücksichtigt. Der »gewöhnliche Aufenthalt«<br />
muss jedoch als unbestimmter Rechtsbegriff nach<br />
Sinn und Zweck des zu Grunde liegenden Schulgesetzes<br />
interpretiert werden. Sinn und Zweck<br />
von Schulgesetzen ist es, jungen Menschen im<br />
schulpflichtigen Alter eine umfassende Bildung<br />
und Erziehung angedeihen zu lassen, um somit<br />
das Kindeswohl zu fördern. Dies ergibt sich zum<br />
einen daraus, dass explizit innerhalb des jeweiligen<br />
Schulgesetzes und der Landesverfassungen<br />
allen jungen Menschen unterschiedslos ein Recht<br />
auf Bildung zuerkannt wird; zum anderen folgert<br />
man dies aber auch aus Art. 2 I GG, mithin der<br />
freien Entfaltung der Persönlichkeit besonders<br />
auch im Bereich der Schule.<br />
Dennoch wird in den Bundesländern Baden-<br />
Württemberg, Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz,<br />
Saarland, Sachsen und Thüringen der »gewöhnliche<br />
Aufenthalt« und damit die Schulpflicht von<br />
ausländischen Kindern mit unsicherem Aufenthaltsstatus<br />
(Aufenthaltsgestattung, kurzfristige<br />
und längerfristige Duldung) verneint. Diesen Kindern<br />
wird nur ein Schulantragsrecht (Schulbesuchsrecht)<br />
in dem betreffenden Bundesland eingeräumt,<br />
aber es wird keine Schulpflicht im<br />
Rechtsinne angenommen, wie bei jedem deutschen<br />
Kind.<br />
Das wesentliche Argument ist in diesem<br />
Zusammenhang, dass der örtliche und zeitliche<br />
Aufenthalt des betroffenen Personenkreises ungesichert<br />
sei und deswegen ein »gewöhnlicher Aufenthalt«<br />
im Sinne der Schulgesetze nicht gegeben<br />
wäre. Anknüpfungspunkt in den jeweiligen<br />
gesetzlichen Konkretisierungen der Schulgesetze<br />
(Verordnungen und Verwaltungsvorschriften) ist<br />
dabei für die die Schulpflicht verneinenden Bundesländer<br />
ein bestimmter aufenthaltsrechtlicher<br />
Status des betroffenen Menschen, bei dessen Vorliegen<br />
auf die potentielle Dauer des Aufenthalts<br />
in dem jeweiligen Bundesland geschlossen wird.<br />
Je nach Aufenthaltsstatus wird dann der unbestimmte<br />
Rechtsbegriff des »gewöhnlichen Aufenthalts«<br />
im Schulgesetz bejaht oder verneint und<br />
somit auch über die Annahme der Schulpflicht<br />
entschieden.<br />
Es bleibt demnach der Sinn und Zweck der<br />
Schulgesetzgebung in der gängigen Entscheidungspraxis<br />
gänzlich unberücksichtigt.<br />
In der Praxis wird aus einem laufenden Asylverfahren<br />
(Aufenthaltsgestattung) gefolgert, dass der<br />
Aufenthalt noch zeitlich und örtlich ungesichert<br />
ist und deswegen von keinem »gewöhnlichen<br />
Aufenthalt« gesprochen werden kann. Somit sei<br />
die Schulpflicht zu verneinen. Gleichwohl dauerten<br />
im Jahr 2001 Asylverfahren bis zum Abschluss<br />
des gerichtlichen Verfahrens (Verfahren vor dem<br />
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer<br />
Flüchtlinge, erste und zweite Instanz vor den Verwaltungsgerichten)<br />
im Bundesdurchschnitt<br />
immer noch 36,4 Monate. 12 Bei deren positivem<br />
Abschluss wird dann Schulpflicht im Rechtssinne<br />
angenommen. Ähnliches wird bei der ausländerrechtlichen<br />
Duldung vertreten; dabei wird eine<br />
Duldung jedoch teilweise über Jahre hinweg nur<br />
kurzfristig erteilt und immer wieder verlängert, so<br />
dass die betroffenen Personen auf unbestimmte<br />
Zeit von der Schulpflicht ausgeschlossen sind.<br />
Es zeigt sich damit, dass eine ausländerrechtliche<br />
Statusqualifizierung ein völlig ungeeignetes<br />
Kriterium ist, um eine Aussage über die Dauer des<br />
Aufenthalts in dem jeweiligen Bundesland zu<br />
treffen. Dennoch richten sich die behördliche<br />
Praxis und insbesondere die rechtlichen Regelungen<br />
anhand dieses Kriteriums aus und definieren<br />
hierüber, ob ein »gewöhnlicher Aufenthalt« und<br />
damit Schulpflicht für den betroffenen Personenkreis<br />
anzunehmen ist oder nicht.