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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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28<br />

Spra<strong>ch</strong>e praktiziert wurde. 95 Gegen die Voreingenommenheit der Krupskaja gegenüber einer Kunstspra<strong>ch</strong>e<br />

s<strong>ch</strong>ien also kein Kraut gewa<strong>ch</strong>sen. 96<br />

Krupskajas Kompetenz in Sa<strong>ch</strong>en Esperanto wurde natürli<strong>ch</strong> von den Esperantisten bestritten.<br />

Während das SAT-Mitglied A. Nikitin in Sennaciulo Nr. 282 vom 27.2.1930 im Fall des Krupskaja-<br />

Artikels von einem „Ausfall gegen Esperanto“ spra<strong>ch</strong>, nahm G. Demidjuk in Sennaciulo (Nr. 286 vom<br />

27.3.1930) Krupskajas Worte etwas gelassener und sah in ihnen sogar eine Art <strong>An</strong>erkennung des Esperanto,<br />

was jedo<strong>ch</strong> kaum na<strong>ch</strong>vollziehbar ist. Demidjuk versu<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> der Abneigung Krupskajas<br />

gegen Esperanto mit der abs<strong>ch</strong>ätzigen Bemerkung zu erwehren, dass der kleinste praktis<strong>ch</strong>e Erfolg des<br />

Esperanto für die Esperantisten wi<strong>ch</strong>tiger sei als die Meinung irgendeiner Autorität.<br />

Mit einem Offenen Brief an N.K. Krupskaja ereiferte si<strong>ch</strong> Ė.K. Drezen in seiner Funktion als<br />

Generalsekretär des ZK SĖSR in der Zeits<strong>ch</strong>rift Meždunarodnyj jazyk, die <strong>An</strong>griffe der Krupskaja<br />

zurückzuweisen, indem er ihr Missverständnisse und Unwissen vorwarf. Zwar sei Esperanto von<br />

einem einzigen Autor auf der Grundlage von 16 grammatis<strong>ch</strong>en Regeln ers<strong>ch</strong>affen worden. Die<br />

Spra<strong>ch</strong>e bestehe aus einem Worts<strong>ch</strong>atz, der aus den europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>öpft wurde. Was die<br />

Grammatik anbelange, habe Zamenhof sogar einige „moderne Ideen von marxistis<strong>ch</strong> denkenden<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftlern wie des Akademiemitglieds Marr vorweggenommen“ (s. Kap. 4 weiter unten),<br />

indem er die Grammatik des Esperanto so kombiniert habe, dass in der Struktur der Spra<strong>ch</strong>e<br />

automatis<strong>ch</strong> eine Reihe historis<strong>ch</strong> gewa<strong>ch</strong>sener Unsinnigkeiten der europäis<strong>ch</strong>en flektierenden<br />

Spra<strong>ch</strong>en beseitigt worden seien und der Wortbildung ein beispielloser Rei<strong>ch</strong>tum verliehen worden<br />

sei, um alle ‚natürli<strong>ch</strong>en‘ Nationalspra<strong>ch</strong>en längst hinter si<strong>ch</strong> zu lassen (eine Übertreibung der<br />

Esperanto-Propaganda, aK). S<strong>ch</strong>on Leibniz habe ges<strong>ch</strong>rieben, dass der Rei<strong>ch</strong>tum einer Spra<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t<br />

im Überfluss an Wörtern bestehe, sondern in der Lei<strong>ch</strong>tigkeit, von einer begrenzten <strong>An</strong>zahl<br />

Grundwörtern und Wurzeln alle notwendigen neuen Wörter, Begriffe und Nuancen des Denkens<br />

abzuleiten. Dass Esperanto eine lebendige Spra<strong>ch</strong>e ist, versu<strong>ch</strong>te Drezen mit Zahlen zu belegen: Seit<br />

40 Jahren werde Esperanto von Hunderttausenden von Mens<strong>ch</strong>en angewendet (die Zahl dürfte übertrieben<br />

sein, aK). Esperanto sei in drei Monaten zu erlernen (ni<strong>ch</strong>t bei allen, aK), und nun verfüge<br />

Esperanto ni<strong>ch</strong>t nur über 800 Wörter wie zur Zeit, als es ges<strong>ch</strong>affen wurde, sondern umfasse 16’000<br />

Wörter, die dur<strong>ch</strong> den kollektiven Nutzungsprozess entstanden seien und in ihrer Mehrheit aus den<br />

Spra<strong>ch</strong>en der europäis<strong>ch</strong>en Kulturnationen stammten. In Esperanto existierten einige Tausend Bü<strong>ch</strong>er,<br />

es kämen etwa Hundert Zeitungen und Zeits<strong>ch</strong>riften heraus, internationale Kongresse würden abgehalten,<br />

au<strong>ch</strong> für Arbeiter, die ohne Dolmets<strong>ch</strong>er auskämen. Dies sei halt unvorstellbar für Leute, die die<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Literatur und Entwicklung des Esperanto ni<strong>ch</strong>t kennten. Dann nahm Drezen no<strong>ch</strong> zu anderen<br />

Aussagen Krupskajas Stellung. Esperanto sei aus einer Notwendigkeit heraus entstanden, damit<br />

die Arbeiter vers<strong>ch</strong>iedener Länder si<strong>ch</strong> im Kampf vereinen könnten. Diese Bemühung sei zu unterstützen<br />

und ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine Beurteilung abzuwürgen, die aus Unkenntnis der Wirkli<strong>ch</strong>keit der Sa<strong>ch</strong>e<br />

vorgenommen wurde. Am Ende ri<strong>ch</strong>tete Drezen an Krupskaja die Hoffnung, die Mögli<strong>ch</strong>keit wahrzunehmen,<br />

ihre Haltung gegenüber der Internationalen Spra<strong>ch</strong>e zu überprüfen. Na<strong>ch</strong> diesem Brief folgte<br />

ein Kommentar, in dem die Verfasser si<strong>ch</strong> über die ablehnende Haltung der Krupskaja verwundert<br />

zeigten, zumal es genug Gelegenheit dazu gegeben habe, Esperanto kennenzulernen. Aber mit der<br />

Krupskaja zu streiten wurde eine Absage erteilt. Es sei nützli<strong>ch</strong>er, die Sa<strong>ch</strong>e des Esperanto im Sinne<br />

95<br />

Weil Esperanto in der <strong>An</strong>fangszeit seiner Existenz no<strong>ch</strong> von einer relativ geringen Zahl Mens<strong>ch</strong>en, die ausserdem in der<br />

riesigen Sowjetunion als einzeln verstreute Esperantisten ein ziemli<strong>ch</strong> isoliertes Leben führten und wenige Kontakte unter<br />

si<strong>ch</strong> pflegen konnten, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so fliessend und eloquent angewendet wurde wie dies viellei<strong>ch</strong>t in späteren Jahrzehnten der<br />

Fall war, ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass bei damaligen Beoba<strong>ch</strong>tern des Esperanto der Eindruck entstand, dass es si<strong>ch</strong> bei<br />

dieser Spra<strong>ch</strong>e eher um ein theoretis<strong>ch</strong>es Konstrukt als um ein praktis<strong>ch</strong>es und voll funktionsfähiges Kommunikationsmittel<br />

handelt. (aK)<br />

96<br />

Amüsant ist die dazu passende <strong>An</strong>ekdote, wona<strong>ch</strong> N.K. Krupskaja, als sie si<strong>ch</strong> 1914 mit Lenin in Bern (S<strong>ch</strong>weiz) niederliess,<br />

si<strong>ch</strong> unter dem Namen „Edelfrau Esperantia Uljanow, geb. Krupski“ bei den Behörden anmelden liess. (s. W. Gauts<strong>ch</strong>i:<br />

Lenin als Emigrant in der S<strong>ch</strong>weiz. Züri<strong>ch</strong> 1975. S. 99).

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