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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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44<br />

ren These des Klassen<strong>ch</strong>arakters der Spra<strong>ch</strong>e, kritisierte aber glei<strong>ch</strong>zeitig die „Vulgarisierung“ des<br />

Marxismus“, die Marr angebli<strong>ch</strong> betrieb. Die Aktivisten der ‚Jazykfront’ warfen Marr eine Haltung<br />

des Lippenbekenntnisses zur Frage der internationalen Spra<strong>ch</strong>e vor und forderten von ihm statt nebulöse<br />

(<strong>An</strong>-)Sätze mehr konkrete Aufmerksamkeit für die Lösung praktis<strong>ch</strong>er Aufgaben der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />

wie die Rationalisierung der Spra<strong>ch</strong>e im allgemeinen und die Förderung der internationalen<br />

Spra<strong>ch</strong>e im besonderen.<br />

Im April 1932 ers<strong>ch</strong>ien in Meždunarodnyj jazyk ein von der Redaktion als „historis<strong>ch</strong>“<br />

bezei<strong>ch</strong>netes Dokument, das von einer „Brigade des spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Aufbaus“ des CK SĖSR erarbeitet<br />

und vom Plenum des Moskauer Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ungsinstituts für Spra<strong>ch</strong>e, das beim Volkskommissariat<br />

für Bildung (Narkompros), NIJaZ, angesiedelt war, verabs<strong>ch</strong>iedet wurde. 148 Die „Thesen<br />

zur Frage der internationalen Spra<strong>ch</strong>e“ enthielten eine verblüffende Selbstkritik in Bezug auf die<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft im allgemeinen und die <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>frage und das Esperanto im besonderen.<br />

Diese Selbstreinigungsübung in den Reihen der SĖSR s<strong>ch</strong>ien im Zusammenhang mit einer Rüge<br />

Ds<strong>ch</strong>ugas<strong>ch</strong>wili-Stalins vom Oktober 1931 an die Adresse von Parteihistorikern notwendig geworden<br />

zu sein, denen er sinnlose Theorienbildung vorwarf, und von der au<strong>ch</strong> die Esperanto-Bewegung ni<strong>ch</strong>t<br />

vers<strong>ch</strong>ont blieb. 149 Obwohl die „Thesen“ das Esperanto ausdrückli<strong>ch</strong> als die am verbreitetste Hilfsspra<strong>ch</strong>e<br />

anerkannten, enthielten sie im Grunde au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>were Bedenken und Vorwürfe gegen die ‚konkrete<br />

Form’ des Esperanto, das die ‚Spra<strong>ch</strong>-Brigade’ 150 und die NIJaZ offenbar für zu wenig revolutionär,<br />

proletaris<strong>ch</strong>, marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong> hielten. Esperanto sei trotz allem ein Gewä<strong>ch</strong>s des „reaktionären<br />

kleinbürgerli<strong>ch</strong>en Pazifismus“, ein Element der „bürgerli<strong>ch</strong>en pan-europäis<strong>ch</strong>en“ und „imperialistis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>politik“, die kolonialistis<strong>ch</strong>, kapitalistis<strong>ch</strong> und imperialistis<strong>ch</strong> sei, sowie das Produkt<br />

eines fals<strong>ch</strong>en „Internationalismus“, ein Erbe der bürgerli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft eben. Alle bisherigen<br />

internationalen Hilfsspra<strong>ch</strong>en seien auf der Grundlage der „entwickelten Spra<strong>ch</strong>en der Grossmä<strong>ch</strong>te“<br />

ges<strong>ch</strong>affen worden; ihre allgemeine freiwillige <strong>An</strong>eignung dur<strong>ch</strong> die Völker würde ni<strong>ch</strong>t die<br />

S<strong>ch</strong>affung einer einheitli<strong>ch</strong>en Weltspra<strong>ch</strong>e bedeuten, sondern wäre ledigli<strong>ch</strong> ein „vorausgehender<br />

S<strong>ch</strong>ritt auf dem Weg der <strong>An</strong>eignung dieser Grossma<strong>ch</strong>tsspra<strong>ch</strong>en“ dur<strong>ch</strong> sie. Der kleinbürgerli<strong>ch</strong>e<br />

Charakter des Esperanto drücke si<strong>ch</strong> ausser in den „kleinbürgerli<strong>ch</strong>en Illusionen“ der „blauäugigen<br />

(russ. prekrasnodušnye) Bemühungen“ L.L. Zamenhofs und der kleinbürgerli<strong>ch</strong>en Esperanto-<br />

Propagandisten zugunsten der „Brüderli<strong>ch</strong>keit der Völker und der weltumspannenden Harmonie“ aus<br />

– wie alle kleinbürgerli<strong>ch</strong>en Illusionen seien sie ein Hilfsmittel des Imperialismus 151 – dies drücke si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> in der Lexik der Esperanto-Spra<strong>ch</strong>e selbst aus, hiess es. 152 Diese Lexik müsse der proletaris<strong>ch</strong>en<br />

Ideologie entspre<strong>ch</strong>end überarbeitet und an die Benutzers<strong>ch</strong>aft angepasst werden, die keine europäis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en spre<strong>ch</strong>en. Die Grammatik des Esperanto müsse „wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> erarbeitet“ werden,<br />

ferner sollte au<strong>ch</strong> die Erfahrung von internationalen Hilfsspra<strong>ch</strong>en, die mit Esperanto konkurrieren,<br />

genutzt werden. Die „me<strong>ch</strong>anistis<strong>ch</strong>e“ und „formalistis<strong>ch</strong>e“ Theorie des Esperanto als eines „Systems<br />

neutraler te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Zei<strong>ch</strong>en“ würde den „Überbau<strong>ch</strong>arakter“ des Esperanto „verwis<strong>ch</strong>en“, sei „prinzipienlos“<br />

und entspre<strong>ch</strong>e dem „re<strong>ch</strong>tsopportunistis<strong>ch</strong>en“ Standpunkt. Die sowjetis<strong>ch</strong>en Esperantisten<br />

seien aber „Kämpfer gegen Me<strong>ch</strong>anismus und Formalismus“ und „Befürworter der Klassendifferenzierung<br />

sowohl ausserhalb als au<strong>ch</strong> innerhalb der UdSSR“. Die Spra<strong>ch</strong>e Esperanto habe „auf der<br />

Grundlage der Prinzipien des Marxismus-Leninismus und des dialektis<strong>ch</strong>en Materialismus“ im Sinne<br />

des „Überbaus und seiner sozioökonomis<strong>ch</strong>en Basis, als Spra<strong>ch</strong>e des Klassenkampfes „kritis<strong>ch</strong> überarbeitet“<br />

zu werden. Ausserdem habe Esperanto als „Hilfsspra<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en den Völkern, aber ni<strong>ch</strong>t<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Klassen“ zu fungieren. Die Positionen Marrs, Spiridovičs und der „engstirnigen“ (russ.<br />

ce<strong>ch</strong>ovoj) Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler, die Esperanto als einzig mögli<strong>ch</strong>e Form einer Weltspra<strong>ch</strong>e hinstellten,<br />

müssten als „reaktionärer kleinbürgerli<strong>ch</strong>er Utopismus“ bezei<strong>ch</strong>net werden. Sol<strong>ch</strong>e Positionen<br />

seien „aggressiv“ und „fehlerhaft“. <strong>An</strong>dererseits stelle Esperanto dur<strong>ch</strong>aus ein „edles, vornehmes<br />

148<br />

Russ. Tezisy o meždunarodnom jazyke in Meždunarodnyj jazyk 10/1932 (online s.:<br />

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19320401&seite=5&zoom=33.<br />

149<br />

Lins, LDL, S. 371f.<br />

150<br />

Bestehend aus A. Lobačëv, M. Paščenko und G. Burljagov. Man darf aber davon ausgehen, dass Drezen hinter der Abfassung<br />

dieses wi<strong>ch</strong>tigen Thesenpapiers stand.<br />

151<br />

<strong>An</strong> dieser Stelle wurde auf den „Sozialfas<strong>ch</strong>ismus“ der SAT erinnert, ohne die Organisation namentli<strong>ch</strong> zu erwähnen.<br />

152<br />

Als Beispiel für diese Behauptung wurde das Esperanto-Wort konkurado für sorevnovanie (Wettbewerb) angeführt.

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