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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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ziationen dur<strong>ch</strong>drungen. Niemand konnte si<strong>ch</strong> ihrer eklatanten Fals<strong>ch</strong>heit erwehren, zumal au<strong>ch</strong> die<br />

eigentli<strong>ch</strong>en Täter des Systems früher oder später selbst Opfer sol<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>auprozesse wurden. Der<br />

Beweis für die Uns<strong>ch</strong>uld aller Opfer war ja ihre Rehabilitierung na<strong>ch</strong> Stalins Tod seit den 50er Jahren,<br />

die bis zum Ende des Jahrhunderts andauerten, als die Glasnost- und Pere-strojka-Zeit Gorbats<strong>ch</strong>ows<br />

die Uns<strong>ch</strong>uld no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t rehabilitierter Personen endli<strong>ch</strong> anerkannt hatte.<br />

Bei der <strong>An</strong>alyse totalitärer staatli<strong>ch</strong>er Systeme bleibt natürli<strong>ch</strong> immer au<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> den<br />

mögli<strong>ch</strong>en Alternativen offen, die die Mens<strong>ch</strong>en und Organisationen in einem sol<strong>ch</strong>en System hatten<br />

und haben, ausser es und seinen Aufbau mit Leib und Seele, mit blindem Gehorsam und mit unbedingter<br />

politis<strong>ch</strong>er Konformität zu unterstützten (wobei man die persönli<strong>ch</strong>e Meinung dieser Mens<strong>ch</strong>en oft<br />

ni<strong>ch</strong>t erfährt). Ein Teil der Mens<strong>ch</strong>en war von der Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Sozialismus tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> überzeugt<br />

gewesen, während der andere Teil dazu gezwungen wurde, diese Überzeugung zu teilen, zu unterstützen<br />

und zu propagieren. Beide Teile haben aber über die von demselben Sozialismus begangenen<br />

Verbre<strong>ch</strong>en (gegen die eigenen Bürger usw.) sträfli<strong>ch</strong> hinwegges<strong>ch</strong>aut, weil sie ni<strong>ch</strong>t erörtert werden<br />

konnten und weil der Sozialismus selbst ni<strong>ch</strong>t in Frage gestellt wurde. Si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Kollaps des<br />

Kommunismus mit Ausreden und Notlügen vor der politis<strong>ch</strong>en Verantwortung zu drücken, indem man<br />

erklärte, den wahren Sozialismus habe es in diesen Ländern gar nie gegeben und man habe „ni<strong>ch</strong>t gewusst“,<br />

dass diese Länder von einer „Clique von Kriminellen“ regiert worden waren (so D. Blanke,<br />

<strong>An</strong>fang 1990, im Fall der DDR), ist eine zu einfa<strong>ch</strong>e Haltung, die so ni<strong>ch</strong>t akzeptiert werden kann.<br />

Ohne ihn selbst als Psy<strong>ch</strong>opathen abzustempeln, hat man die von Stalin initiierten Repressionen<br />

unter anderem auf den s<strong>ch</strong>wierigen persönli<strong>ch</strong>en Charakter dieses Mannes zurückgeführt (seine<br />

To<strong>ch</strong>ter Svetlana Allilueva hat dies in ihren Bü<strong>ch</strong>ern leider nur allzu rudimentär thematisiert). Was<br />

den (unbere<strong>ch</strong>enbaren) Diktator und (launenhaften) Tyrannen Ds<strong>ch</strong>ugas<strong>ch</strong>wili-Stalin letztendli<strong>ch</strong> auszei<strong>ch</strong>nete,<br />

um als Massenmörder in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te einzugehen, ist im Grunde wie oft in sol<strong>ch</strong>en Fällen<br />

bis heute rätselhaft geblieben. Bei der Unterdrückung der Mens<strong>ch</strong>en in einer totalitären Ordnung<br />

s<strong>ch</strong>eint es si<strong>ch</strong> aber in erster Linie um ein systemimmanentes Problem zu handeln, denn au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

Stalins Tod wollte sie ni<strong>ch</strong>t enden und blieb dem von Lenin brutal begründeten System in abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ter<br />

Form eigentli<strong>ch</strong> bis zum letzten Tag seiner Existenz erhalten.<br />

A. Künzli, Juli 2013<br />

Epilog<br />

Stalins spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Verdikt von 1950 und das Ende des<br />

Marrismus<br />

Im Juni 1950 trat in der sowjetis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft eine überras<strong>ch</strong>ende Wende ein. I.V.<br />

Ds<strong>ch</strong>ugas<strong>ch</strong>wili-Stalin s<strong>ch</strong>altete si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> in eine vorangegangene Debatte ein, die unter einigen<br />

Marr-Gegnern wie A.S. Čikobava, B.A. Serebrennikov, G.A. Kadancjan, L.A. Bula<strong>ch</strong>ovskij einerseits<br />

und Marr-<strong>An</strong>hängern wie I.I. Meščaninov, N.S. Čemodanov, F.P. Filin, V.D. Kudrjavcev geführt wurde.<br />

Weitere tonangebende Linguisten wie V.V. Vinogradov, G.D. Sanžeev, A.I. Popov und S.D.<br />

Nikiforov hatten eine s<strong>ch</strong>wankende Position eingenommen. Diese Debatte endete mit einem Eklat des<br />

überlegenen Kremlherrs<strong>ch</strong>ers, als er am 20. Juni zur programmatis<strong>ch</strong>en Zers<strong>ch</strong>lagung des Marrismus<br />

ausholte.

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