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73<br />
und unter dem Druck „verbotener Verhörmethoden“ gestanden habe. Weiter vermerkt das Geheimdienstdokument,<br />
dass Deškin na<strong>ch</strong> seiner Entlassung aus dem Kraslager per 23. Juli 1946 gesetzeswidrig<br />
zu seiner To<strong>ch</strong>ter na<strong>ch</strong> Moskau gefahren sei und dass er 1947 zu zwei weiteren Jahren Lagerhaft<br />
verurteilt wurde. Dur<strong>ch</strong> eine Bestimmung des speziellen Lagergeri<strong>ch</strong>ts des Krasnojarsker Landes wurde<br />
er am 9. Januar 1948 von der Lagerhaft befreit. Vom 31. Januar 1948 bis 16. September 1952 arbeitete<br />
Deškin als Bu<strong>ch</strong>halter im S<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>t Nr. 3 des Trusts Kanskugol’ in der Orts<strong>ch</strong>aft Irša des Rybinsker<br />
Rayons im Krasnojarsker Land. 1951 wurde er zum Invaliden der 3. Gruppe erklärt. 220 1955 kam er<br />
aus dem Lager zurück, siedelte si<strong>ch</strong> in Mičurinsk (Gebiet Tambov) an, wo er aus Krankheitsgründen<br />
bald in ein Heim umziehen musste. Gerade in dieser Zeit entstand von ihm ein neuer Zyklus von Esperanto-Gedi<strong>ch</strong>ten.<br />
Im Juni 1963 überras<strong>ch</strong>te ihn die Erblindung. Als 75-Jähriger starb Deškin am 27.<br />
Februar 1976. 221<br />
Ausser derjenigen Bes<strong>ch</strong>uldigten und Verurteilten, die ihr Urteil s<strong>ch</strong>einbar widerstandslos<br />
hinnahmen, gab es einige Opfer, die wie Deškin hartnäckig und wiederholt die absurden<br />
<strong>An</strong>s<strong>ch</strong>uldigungen abstritten, meist taten sie es vergebli<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> die NKVD-Akte zu Nikolaj<br />
Jakovlevič Incertov, geb. 1896 im Dorf Šatalovka (Gouv. Voronež), Sohn eines Popen, ist insofern<br />
interessant, als sie dokumentiert, wie wenig es half, sämtli<strong>ch</strong>e <strong>An</strong>s<strong>ch</strong>uldigungen zurückzweisen, um<br />
der drohenden Verurteilung zu entgehen. So verneinte Incertov beim Verhör vom 17. April 1937<br />
„kategoris<strong>ch</strong>“, Teilnehmer einer trockistis<strong>ch</strong>en Organisation von Esperantisten 222 gewesen zu sein. Zu<br />
keiner k/r Aktivität habe er irgendwann irgendeine Beziehung gehabt, er könne darüber ni<strong>ch</strong>ts sagen<br />
und sei uns<strong>ch</strong>uldig. Er verlangte Beweise, die diese <strong>An</strong>s<strong>ch</strong>uldigungen plausibel ma<strong>ch</strong>ten. Er bestritt,<br />
dass er ein Teilnehmer einer k/r Organisation gewesen sei, dass er Drezen eine Bewilligung für die<br />
Verbreitung von a/s trockistis<strong>ch</strong>er Literatur gegeben habe und dass er eine sol<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verbreitet<br />
habe. Es habe au<strong>ch</strong> kein Gesprä<strong>ch</strong> mit Drezen gegeben, in der Incertov seine Solidarität mit einer SAT<br />
bekundet hätte, die „in ihrer Arbeit eine a/s trockistis<strong>ch</strong>e Linie“ vertritt. Es folgten zahlrei<strong>ch</strong>e weitere<br />
Unterstellungen gegen Incertov, die teilweise gar ni<strong>ch</strong>ts mit seiner Tätigkeit als Esperantist zu tun<br />
hatten. Ferner antwortete Incertov, dass er über eine terroristis<strong>ch</strong>e Arbeit in der Ukraine, die von<br />
Drezen, Kolčinskij, Pogorelov „und anderen“ dur<strong>ch</strong>geführt worden sein soll, ni<strong>ch</strong>ts gewusst habe. In<br />
denr Akten zu Incertov gab es eine Passage, bei der Pogorelov über Incertov ausgesagt haben soll,<br />
dass er mit ihm über die Existenz einer k/r trockistis<strong>ch</strong>en Organisation unter dem Namen „Fraktion der<br />
Bols<strong>ch</strong>ewiken-Leninisten“ gespro<strong>ch</strong>en habe. Bei der Abs<strong>ch</strong>lussverhandlung vom 27. Oktober 1937<br />
bekannte si<strong>ch</strong> Incertov dann do<strong>ch</strong> wieder s<strong>ch</strong>uldig und sagte, dass er sein S<strong>ch</strong>icksal in die Hände des<br />
Geri<strong>ch</strong>ts legt. Dann empfing er die Hö<strong>ch</strong>strafe (VMN) – den Tod dur<strong>ch</strong> Ers<strong>ch</strong>iessen. 223<br />
Wie N. Stepanov in Erfahrung bringen konnte, s<strong>ch</strong>ien Efim Spiridovič dem NKVD seinen<br />
Dienst als Übersetzer von Esperanto-Dokumenten angeboten zu haben, um so sein Leben in Si<strong>ch</strong>erheit<br />
zu bringen – er erhielt nur zehn Jahre Lagerhaft. 224<br />
Interessant ist au<strong>ch</strong> der Fall Sergej Danilovič Mastepanovs (*1913), eines kaum bekannten<br />
Namens unter den sowjetis<strong>ch</strong>en Esperantisten. Mastepanov, der von Kubankosaken abstammte, konnte<br />
nur wenige Monate seines Lebens die S<strong>ch</strong>ule besu<strong>ch</strong>en und bildete si<strong>ch</strong> daher vor allem autodidaktis<strong>ch</strong><br />
weiter. Sodann arbeitete Mastepanov als Lehrer für Deuts<strong>ch</strong>, Englis<strong>ch</strong> und Französis<strong>ch</strong>, kannte<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e andere Spra<strong>ch</strong>en und wurde sogar S<strong>ch</strong>uldirektor. Er galt als grosser Spezialist für Spri<strong>ch</strong>wörter<br />
und Redensarten der slavis<strong>ch</strong>en, ugro-finnis<strong>ch</strong>en und Turkvölker. Seine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Artikel ers<strong>ch</strong>ienen vor allem in den USA, in England, Deuts<strong>ch</strong>land, Frankrei<strong>ch</strong> und Finnland. 1938<br />
wurde er von einer NKVD-Trojka zum Tod verurteilt und dann zu 10 Jahren Haft begnadigt. Seine<br />
Zwangsarbeit verbra<strong>ch</strong>te er 1938-47 im berü<strong>ch</strong>tigten U<strong>ch</strong>tpečlager (Komi) unter besonders strengen<br />
220<br />
S. http://historio.ru/desxkin.php.<br />
221<br />
Tokarev, V.: Georgo Deškin: In: Impeto 91, S. 152.<br />
222<br />
Die Akten zu Incertov spre<strong>ch</strong>en neben der ri<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>reibweise au<strong>ch</strong> von „eksperantistov“ und „esperantov“. Dies weist<br />
darauf hin, dass die Vernehmer keine wirkli<strong>ch</strong>e Ahnung von Esperanto gehabt haben konnten.<br />
223<br />
S. http://historio.ru/incertov.php. Die entspre<strong>ch</strong>enden <strong>An</strong>gaben zu Incertov ers<strong>ch</strong>einen au<strong>ch</strong> auf<br />
http://lists.memo.ru/index9.htm. Au<strong>ch</strong> Incertov wurde wie Drezen auf dem Neuen Don-Friedhof beerdigt.<br />
224<br />
S. Sennacieca Revuo 121/1993, S. 24-27. Er wurde am 8. Juni 1957 rehabilitiert.