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43<br />
Drezen war ein Mitglied der ‚Jazykfront’. Am 15. September trat die Gruppe mit einer „Erklärung“<br />
(russ. obraščenie) hervor, die eine Einleitung enthielt, die die aktuelle Situation in der Wissens<strong>ch</strong>aft als<br />
äussert unglückli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieb. In den S<strong>ch</strong>ulen herrs<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> wie vor die idealistis<strong>ch</strong>e und formalistis<strong>ch</strong>e<br />
Ri<strong>ch</strong>tung, aus der ein prinzipienloser Eklektizismus der indoeuropäis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ule erwa<strong>ch</strong>se. Die<br />
Existenz der Diktatur des Proletariats sei au<strong>ch</strong> für die Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vorüber. In der<br />
Sowjetunion sei zwar eine neue Lehre von der Spra<strong>ch</strong>e auf materialistis<strong>ch</strong>er Grundlage entstanden, die<br />
jafetitis<strong>ch</strong>e Theorie. Diese Lehre stelle aber no<strong>ch</strong> keine „dialektis<strong>ch</strong>-materialistis<strong>ch</strong>e“ Struktur dar,<br />
sondern sei ledigli<strong>ch</strong> der erste S<strong>ch</strong>ritt dazu. Wegen der s<strong>ch</strong>wierigen Lage an der spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Front sehe man si<strong>ch</strong> gezwungen, einen ents<strong>ch</strong>iedenen Kampf gegen den Indo-Europäismus und<br />
gegen jegli<strong>ch</strong>e Art des Eklektizismus zu führen. <strong>An</strong>gekündigt wurde ein umfassender <strong>An</strong>griff gegen<br />
die „me<strong>ch</strong>anistis<strong>ch</strong>en Tendenzen“ in der aktuellen Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft, denn nur eine sol<strong>ch</strong>e Vorgehensweise<br />
gewährleiste den Sieg über den Idealismus und den Formalismus in der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />
und lege den Boden für die S<strong>ch</strong>affung einer wahren „dialektis<strong>ch</strong>-materialistis<strong>ch</strong>en“ Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />
unter Einbezug aller bisherigen Errungens<strong>ch</strong>aften der Linguistik. Na<strong>ch</strong> dem XVI. Parteitag von<br />
1930, dem breiten <strong>An</strong>griff auf die kapitalistis<strong>ch</strong>en Elemente und na<strong>ch</strong> der Liquidierung des Kulakentums<br />
auf der Grundlage der dur<strong>ch</strong>gängigen Kollektivierung seien deutli<strong>ch</strong>e marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e<br />
Ri<strong>ch</strong>tlinien in Fragen der Spra<strong>ch</strong>e, eine krasse Wende und eine Umgestaltung (russ. perestrojka) der<br />
gesamten wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Arbeit in Ri<strong>ch</strong>tung der unmittelbaren aktuellen Fragen des Aufbaus des<br />
Sozialismus gefordert. Diese sei im Sinne der Erklärung des Zentralkomitees der Partei umzusetzen,<br />
das die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Energie der Arbeiterklasse zur Erfüllung der produktiven Aufgaben mobilisiert.<br />
In ihrer eigenen Erklärung stellten die Mitglieder der ‚Jazykfront’ zehn Aufgabenberei<strong>ch</strong>e vor, die den<br />
folgenden Inhalt hatten:<br />
1. Ausarbeitung der grundlegenden Probleme der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft für die Gesetzmässigkeiten der<br />
Entwicklung der Spra<strong>ch</strong>e in der Epo<strong>ch</strong>e der Diktatur des Proletariats auf den Grundlagen des Marxismus-Leninismus;<br />
2. Einbezug der Arbeit der ‚Jazykfront’ in den Generalplan des Aufbaus der Kultur<br />
zugunsten des systematis<strong>ch</strong>en und organisierten Studiums der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>tümer der Sowjetunion;<br />
3. Studium der letzten Etappen der Entwicklung der Spra<strong>ch</strong>e; 4. Studium der Spra<strong>ch</strong>e des Proletariats<br />
und der Kol<strong>ch</strong>osbauern; 5. Aktive Unterstützung des breiten Gebrau<strong>ch</strong>s der Spra<strong>ch</strong>e beim<br />
Aufbau des Sozialismus, der Kulturrevolution und bei der Entwicklung der Nationalkulturen; 6. Verstärkung<br />
der führenden Rolle der wahren marxistis<strong>ch</strong>en Theorie und Praxis in der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />
im Kampf für die Kultur des s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en und mündli<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong>s der Spra<strong>ch</strong>e sowie für die Regulierung<br />
der Spra<strong>ch</strong>e; 7. Marxistis<strong>ch</strong>e Kritik der Methodik des Spra<strong>ch</strong>enlernens und Umgestaltung des<br />
Unterri<strong>ch</strong>ts am <strong>An</strong>fang der polyte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ule der Arbeiter; 8. Ausführung einer Reihe marxistis<strong>ch</strong>er<br />
Fors<strong>ch</strong>ungen auf den Gebieten der Theorie, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Praxis der Spra<strong>ch</strong>e auf der Grundlage<br />
des sozialistis<strong>ch</strong>en Wettbewerbs und des Bestarbeitertums bis zum Ende des Fünfjahresplans; 9.<br />
Enger Zusammens<strong>ch</strong>luss mit den Marxisten, die auf den Gebieten der Philosophie, Ökonomie, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
und Literaturwissens<strong>ch</strong>aft zusammenarbeiten, und 10. Breite Selbstkritik in den Reihen der<br />
marxistis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler. Der Aufruf wurde namentli<strong>ch</strong> unterzei<strong>ch</strong>net von Abaev, Alaverdov,<br />
Belevickij, Danilov, Drezen, Komšilova und Lomtev und in der Zeits<strong>ch</strong>rift Literatura i iskusstvo<br />
veröffentli<strong>ch</strong>t. 146 Glei<strong>ch</strong>zeitig wurden von Danilov und Lomtev entspre<strong>ch</strong>ende Vorträge und Diskussionen<br />
in der Kommunistis<strong>ch</strong>en Akademie dur<strong>ch</strong>geführt, bei denen die Thesen der „Erklärung“ vorgestellt<br />
und erörtert wurden.<br />
Das Programm der ‚Jazykfront’ mag auf den ersten Blick mit Esperanto und der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>frage<br />
ni<strong>ch</strong>ts gemein gehabt zu haben. Brisant war aber wie oben vermerkt der Umstand, dass ausgere<strong>ch</strong>net<br />
der Esperantist und SĖSR-Chef Ė.K. Drezen ein Mitglied dieser Gruppierung war. 147 Zwar<br />
unterstützte Drezen na<strong>ch</strong> wie vor Marrs Verurteilung der „bürgerli<strong>ch</strong>en“ Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft und deličenko:<br />
Ideja meždunarodnogo iskusstvennogo jazyka v debrja<strong>ch</strong> rannej sovetskoj sociolingvistiki. In: Russ Linguist<br />
34/2010, S. 143-157.<br />
146<br />
Der Text ers<strong>ch</strong>ien au<strong>ch</strong> in Meždunarodnyj jazyk 4-5/1930 (online s.:<br />
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19301001&seite=15&zoom=33).<br />
147<br />
Vgl. den Artikel ‚SĖSR na jazykovednom fronte’ Meždunarodnyj jazyk 9-10/1932, S. 291-4<br />
(online: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19320901&zoom=33).