An Frau Prof - Plansprachen.ch
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(russ. blagorodnyj) Material“ dar, um diese „ganzen Probleme vertieft zu untersu<strong>ch</strong>en“. Stalins Thesen,<br />
die am XVI. Parteitag für verbindli<strong>ch</strong> erklärt wurden, wurden von der SĖSR-‚Brigade’ bestätigt<br />
und wiederholt. Von einer Verdrängung der Nationalspra<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> Esperanto könne ni<strong>ch</strong>t die Rede<br />
sein, hiess es ferner, und die <strong>An</strong>näherung der Nationalspra<strong>ch</strong>en mit dem Ziel der S<strong>ch</strong>affung einer Einheits-Weltspra<strong>ch</strong>e<br />
werde unabhängig vom Esperanto erfolgen. In diesem Sinn wurde zur Unterstützung<br />
der bestehenden Nationalspra<strong>ch</strong>en aufgerufen, obwohl man davon überzeugt war, dass keine der<br />
Spra<strong>ch</strong>en, die in den Kolonien verbreitet sind, zur gemeinsamen internationalen Spra<strong>ch</strong>e werden konnte<br />
und werden könne, weil diese Spra<strong>ch</strong>en von der Politik des jeweiligen Staates getragen würden. Im<br />
Vorspann wurden die Thesen als „historis<strong>ch</strong>er“ „riesiger Sieg“ bejubelt, weil erstmals eine offizielle<br />
spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Instanz in der Sowjetunion ihre Haltung zur <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>-Bewegung aus der<br />
Si<strong>ch</strong>t des Marxismus zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t hatte. 153<br />
Trotz geäusserter Kritik von Seiten der ‚Jazkyfront’ und anderen war vorläufig aber immer<br />
no<strong>ch</strong> N.Ja. Marr der unantastbare Fürst der sowjetis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft und politis<strong>ch</strong> am längeren<br />
Hebel, zumal der Georgier si<strong>ch</strong> selbst als radikaler Kritiker der alten indoeuropäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />
aufgeplustert hatte und ins allgemeine Konzept der Stalinisten passte. Er und vor allem seine<br />
Theorien, die ihn lange überlebten, genossen die einspru<strong>ch</strong>slose Unterstützung von Staat und Partei<br />
und hielten jegli<strong>ch</strong>en Einwänden bis na<strong>ch</strong> dem 2. Weltkrieg uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong> Stand. Es war also nur<br />
eine Frage der Zeit, bis die Marristen zur Zers<strong>ch</strong>lagung ihrer Gegner ansetzten, und das taten sie ohne<br />
Gnade und kompromisslos. Zum s<strong>ch</strong>arfen Wortwe<strong>ch</strong>sel zwis<strong>ch</strong>en Esperantisten und Marristen kam es<br />
s<strong>ch</strong>on im Laufe des Jahres 1932. Marr hatte die Tätigkeit der ‚Jazykfront’ dur<strong>ch</strong>aus zur Kenntnis genommen<br />
und reagierte si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gereizt auf die kritis<strong>ch</strong>e Haltung einiger Esperantisten gegenüber seiner<br />
sakrosankten Jafetidologie. So sah der gekränkte sowjetis<strong>ch</strong>e Linguistikpapst si<strong>ch</strong> veranlasst, Stellung<br />
zu beziehen. Er warf den Esperantisten vor, dass ihre „Ausfälle“ gegen die jafetidologis<strong>ch</strong>en<br />
Theorien ihr fehlendes Wissen offenbarten, das aber nötig wäre, um seine Theorien zu begreifen und<br />
dass ihr Esperanto „glei<strong>ch</strong>ermassen von der Basis des aktuellen sozialistis<strong>ch</strong>en Aufbaus losgelöst“ sei<br />
wie die Indogermanistik selbst. 154<br />
Entspre<strong>ch</strong>ende Reaktionen auf die Tätigkeit und das Programm der ‚Jazykfront’ blieben ni<strong>ch</strong>t<br />
aus. Bald wurde der Vorwurf an die Gegner Marrs laut, es würden Versu<strong>ch</strong>e unternommen, die<br />
bürgerli<strong>ch</strong>e Linguistik in der Sowjetunion zu restaurieren. Als profiliertester Kritiker seiner Sorte trat<br />
ein gewisser Fedot P. Filin (1908-82) auf, ein ausgebildeter Linguist und äusserst anpassungsfähiger<br />
ideologis<strong>ch</strong>er Hardliner mit Karriereambitionen, der sein Studium 1931 an der MGU abges<strong>ch</strong>lossen<br />
hatte. 155 Damals erst 24-jährig und überzeugter <strong>An</strong>hänger der „Neuen Lehre“ Marrs, setzte der ho<strong>ch</strong>talentierte<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler in seinem S<strong>ch</strong>riftsatz „‚Der Kampf um eine marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft und die Gruppe ´Jazykfront´“, der 1932 im Sammelband „Protiv buržuaznoj kontrabandy<br />
v jazykoznanii“ (Gegen den bürgerli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>muggel in der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft) ers<strong>ch</strong>ien, mit<br />
einem Rundums<strong>ch</strong>lag gegen all jene Kollegen an, die si<strong>ch</strong> gegenüber dem Marrismus skeptis<strong>ch</strong> verhielten<br />
und innerhalb der marxistis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft eine eigene Fraktion bildeten. Dies traf<br />
wohl ni<strong>ch</strong>t unerwartet au<strong>ch</strong> auf die Mitglieder der ‚Jazykfront’, die im Marrismus-Streit zu ho<strong>ch</strong> gepokert<br />
hatten, auf ideale Weise zu. Filin warf „dem Klassenfeind“ unter den Wissens<strong>ch</strong>aftlern vor, den<br />
Forts<strong>ch</strong>ritt der Wissens<strong>ch</strong>aften mit allen Mitteln und mit „muffigem, haltlosem ‚Akademismus‘“ zu<br />
hemmen und si<strong>ch</strong> in sie „getarnt einzus<strong>ch</strong>muggeln“. Vergli<strong>ch</strong>en mit anderen Gesells<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aften<br />
wie der Philosophie, der Politökonomie und der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sei die Linguistik in jeder Hinsi<strong>ch</strong>t<br />
sehr zurückgeblieben. Die Ursa<strong>ch</strong>e für den beispiellosen Rückstand der Linguistik sah Filin im<br />
Verglei<strong>ch</strong> zu den führenden Gesells<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aften vor allem darin, dass hier, wie nirgends<br />
sonst, alte, bürgerli<strong>ch</strong>e und sogar vorbürgerli<strong>ch</strong>e Traditionen wirksam wären. Die Grundkader der<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler seien bisher „kaum bols<strong>ch</strong>ewisiert“. Gruppierungen wie die ‚Jazykfront’ seien<br />
typis<strong>ch</strong> dafür, dass Personen wie Vološinov, Šor, Jakovlev, Loja als maskierte Indogermanisten aufträten.<br />
Sol<strong>ch</strong>e Entwicklungen seien besonders gefährli<strong>ch</strong> und müssten bekämpft werden, denn sie würden<br />
153<br />
Online s. http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19320401&seite=3&zoom=33.<br />
154<br />
Online s. http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19330501&seite=29&zoom=33.<br />
155<br />
Biographis<strong>ch</strong>e <strong>An</strong>gaben zu Filin s. http://ru.wikipedia.org/wiki/Филин,_Федот_Петрович.