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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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37<br />

Theoreme der bizarren jafetitis<strong>ch</strong>en Doktrin in populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Form festhielt. 123 Als Verfasser<br />

des Textes zei<strong>ch</strong>nete ein gewisser <strong>An</strong>drej P. <strong>An</strong>dreev (1864-?). 124 Dieser hatte Esperanto im<br />

Jahr 1910 gelernt und befasste si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem bols<strong>ch</strong>ewistis<strong>ch</strong>en Umsturz vor allem mit linguistis<strong>ch</strong>en<br />

Themen. Wohl kein anderer Kreis von Personen sei an der Verbreitung der von Marr formulierten<br />

materialistis<strong>ch</strong>en Ideen über die Spra<strong>ch</strong>e mehr interessiert als die Esperantisten, die Vertreter der der<br />

„bourgeoisen s<strong>ch</strong>olastis<strong>ch</strong>en Linguistik so sehr verhassten ‚künstli<strong>ch</strong>en‘ internationalen Spra<strong>ch</strong>e“, 125<br />

hiess es im Vorwort grossspurig. Daher habe die SĖSR die Aufgabe übernommen, die Ideen Marrs zu<br />

popularisieren. Das Hauptziel dieser Arbeit und der SĖSR sei die Verneinung der indoeuropäis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>olastik und die <strong>An</strong>erkennung der Mögli<strong>ch</strong>keit der bewussten Einmis<strong>ch</strong>ung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Verstandes auf dem Gebiet der Spra<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>öpfung. Die S<strong>ch</strong>lüssigkeit der Logik der jafetitis<strong>ch</strong>en<br />

Theorie war für <strong>An</strong>dreev klar: Aus der Ablehnung der Lehre der Indogermanisten vom Ursprung der<br />

Lautspra<strong>ch</strong>e, die <strong>An</strong>dreev als eine einzige Phantasie bezei<strong>ch</strong>nete, ergab si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>lussfolgerung,<br />

dass im Rahmen der jafetitis<strong>ch</strong>en Lehre die künftige Welteinheitsspra<strong>ch</strong>e eine Spra<strong>ch</strong>e neuen Typs<br />

sein würde, wobei die Spra<strong>ch</strong>e Esperanto an oberster Stelle der in Frage kommenden internationalen<br />

Kunstspra<strong>ch</strong>en besonderes Interesse erhalte. Den Marrismus für die Linguistik vergli<strong>ch</strong> <strong>An</strong>dreev mit<br />

dem Marxismus für die Philosophie und Soziologie. Die Spra<strong>ch</strong>enfrage gehöre zu den ersten<br />

Werkzeugen beim Aufbau des Sozialismus und des Kommunismus. Am Ende seines pathetis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>lussworts wies <strong>An</strong>dreev no<strong>ch</strong> auf Drezens Bu<strong>ch</strong> ‚Za vseobščim jazykom. Tri veka iskanij.‘ hin, das<br />

von Marr so gelobt worden war, und der Kreis hatte si<strong>ch</strong> für <strong>An</strong>dreev ges<strong>ch</strong>lossen. Am Ende des<br />

Prozesses der „stadialen Entwicklung der natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en“ stünde die Welteinheitsspra<strong>ch</strong>e, und<br />

am Ende der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> stünde die Spra<strong>ch</strong>e Esperanto, gab er seine naive<br />

Überzeugung zum Ausdruck.<br />

Im hartnäckigen Bemühen der Kommunisten und ‚marxistis<strong>ch</strong>en Sowjetesperantisten‘ um eine<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung der Verunglimpfung und Verneinung der alten „bürgerli<strong>ch</strong>en“ Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft, die<br />

man auf plumpe ideologis<strong>ch</strong>e Art und Weise als Lehre „toter Bu<strong>ch</strong>staben“ und „toter Phrasen“ sowie<br />

als Wissens<strong>ch</strong>aft der „konkurrierenden kapitalistis<strong>ch</strong>en Staaten“ denunzierte und diskreditierte, die<br />

den Völkern das Englis<strong>ch</strong>e, Französi<strong>ch</strong>e und Deuts<strong>ch</strong>e als internationale Spra<strong>ch</strong>en aufzwingen<br />

wollten, leisteten au<strong>ch</strong> die Ausführungen Adam Iodkos (1893-1938) zum Thema „Esperanto vor dem<br />

Urteil der Wissens<strong>ch</strong>aft“ keine s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Dienste. Ein entspre<strong>ch</strong>ender Artikel dazu wurde 1926 in<br />

Drezens Publikation ‚Na putja<strong>ch</strong> k meždunarodnomu jazyku‘ abgedruckt, die im Verlag<br />

‚Gosudarstvennnoe Izdatel’stvo‘ ers<strong>ch</strong>ien und s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong> eine gewisse Relevanz für die Debatte<br />

erhalten sollte, bei der si<strong>ch</strong> die Sowjetesperantisten ereiferten, eine plausible ‚interlinguistis<strong>ch</strong>e‘<br />

Theorie für den Sozialismus zu formulieren. Die proletaris<strong>ch</strong>e Revolution in Russland habe „dem<br />

Imperialismus einen starken S<strong>ch</strong>lag“ versetzt, wurde behauptet, und seine Illusion endgültig<br />

zers<strong>ch</strong>lagen, dass eine seiner Nationalspra<strong>ch</strong>en internationale Spra<strong>ch</strong>e werden könnte. Ni<strong>ch</strong>t die<br />

„imperialistis<strong>ch</strong>e bürgerli<strong>ch</strong>e Wissens<strong>ch</strong>aft“ werde die Frage der internationalen Spra<strong>ch</strong>e ents<strong>ch</strong>eiden,<br />

sondern allein dur<strong>ch</strong> die proletaris<strong>ch</strong>e Revolution, die von der „marxistis<strong>ch</strong>en Soziologie“ unterstützt<br />

werde, werde es mögli<strong>ch</strong> werden, das Projekt der Einführung einer internationalen Kunstspra<strong>ch</strong>e zu<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en. Veränderungen in der Spra<strong>ch</strong>e, die den Veränderungen der wirts<strong>ch</strong>afli<strong>ch</strong>en<br />

123<br />

S. A.P. <strong>An</strong>dreev: Revolucija jazykoznanija. Jafetičeskaja teorija akademika N.Ja. Marra. C.K. SĖSR. Moskau 1929. 40 S.<br />

(online: http://www2.unil.<strong>ch</strong>/slav/ling/textes/ANDREEV29/<strong>An</strong>dreev29.html). Bereits in Meždunarodnyj jazyk 1/1929 ers<strong>ch</strong>ien<br />

sein ähnli<strong>ch</strong> lautender Beitrag ‚Meždunarodnyj jazyk i nauka o jazyke’, in dem er die jafetitis<strong>ch</strong>e Theorie in der<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft erklärte (online: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19290101&seite=3&zoom=33).<br />

Sein Beitrag über die „Göttli<strong>ch</strong>e Überwissens<strong>ch</strong>aft“ folgte in der nä<strong>ch</strong>sten Nummer (online: http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?aid=e2b&datum=19290301&seite=3&zoom=33,<br />

vgl. au<strong>ch</strong> einen weiteren Artikel <strong>An</strong>dreevs unter<br />

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=e2b&datum=19301001&seite=17&zoom=33).<br />

124<br />

<strong>An</strong>dreev stammte aus Poltava und war <strong>An</strong>gehöriger der Familie eines Forstbeamten. Er arbeitete als Kriegsri<strong>ch</strong>ter im<br />

Kaukasus, in Wars<strong>ch</strong>au und Moskau. (s. Enciklopedio de Esperanto, S. 19f.).<br />

125<br />

Vor allem die Junggrammatiker um August Leskien und Hugo Brugmann hatten die Idee der Planspra<strong>ch</strong>e und das Esperanto<br />

abgelehnt, während ihre S<strong>ch</strong>üler wie Jan Baudouin de Courtenay, aber au<strong>ch</strong> Hugo S<strong>ch</strong>u<strong>ch</strong>ardt, Troubetzkoy, Jušmanov,<br />

Sapir, Pei oder der Bulgare Ivan Šišmanov die Existenzbere<strong>ch</strong>tigung künstli<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong>aus anerkannten. Obwohl<br />

Baudouin de Courtenay die „soziale Tatsa<strong>ch</strong>e“ der Spra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong>aus akzeptierte, aber den Kommunismus ablehnte, wurde er<br />

von fanatis<strong>ch</strong>en sowjetkommunistis<strong>ch</strong>en Ideologen als „subjektivistis<strong>ch</strong>er Idealist“, „naiver Materialist“ und „Lakai der<br />

westli<strong>ch</strong>en Linguistik“ verteufelt. Mit seiner linguistis<strong>ch</strong>en <strong>An</strong>alyse des Esperanto der Jahre 1907-9 hatte Baudouin de Courtenay<br />

das Esperanto als beste Planspra<strong>ch</strong>e gerühmt (einen entspre<strong>ch</strong>enen Artikel s. auf http://www.planspra<strong>ch</strong>en.<strong>ch</strong>).

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