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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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35<br />

„Es ist klar, dass die künftige Einheitsweltspra<strong>ch</strong>e eine Spra<strong>ch</strong>e eines neuen Systems sein wird,<br />

eines besonderen, das bisher ni<strong>ch</strong>t existiert hat, so wie die künftige Wirts<strong>ch</strong>aft mit ihrer Te<strong>ch</strong>nik, die<br />

künftige klassenlose Gesells<strong>ch</strong>aft und die künftige klassenlose Kultur. Eine sol<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kann natürli<strong>ch</strong><br />

keine der verbreitetsten lebenden Spra<strong>ch</strong>en der Welt sein, die unweigerli<strong>ch</strong> eine bürgerli<strong>ch</strong>e<br />

Kulturspra<strong>ch</strong>e und eine bürgerli<strong>ch</strong>e Klassenspra<strong>ch</strong>e sein muss, wie au<strong>ch</strong> keine der toten Spra<strong>ch</strong>en zur<br />

internationalen Spra<strong>ch</strong>e der neuen Welt vor der Oktoberrevolution werden konnte, und wie au<strong>ch</strong> in<br />

jener vergangenen Welt keine von ihnen als internationale Spra<strong>ch</strong>e auf Massenbasis hervortrat.“ 117<br />

(Kursive Hervorhebung von AK).<br />

Na<strong>ch</strong> Marrs Auffassung existierten in der Welt keine natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en, denn alle Spra<strong>ch</strong>en<br />

seien künstli<strong>ch</strong> und von der Mens<strong>ch</strong>heit unter bestimmten stadialen Entwicklungen und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Bedingungen mit dem Aufkommen neuer sozialer Formen und neuem Denken ges<strong>ch</strong>affen,<br />

und sie würden ni<strong>ch</strong>t aufhören, ihrer Herkunft na<strong>ch</strong> künstli<strong>ch</strong> zu sein. <strong>An</strong>gesi<strong>ch</strong>ts dieser Lage<br />

könne die Jafetitologie die künftige Spra<strong>ch</strong>e der Mens<strong>ch</strong>heit nur als künstli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affene Spra<strong>ch</strong>e<br />

betra<strong>ch</strong>ten. Bei dieser Arbeit an der Ausprägung einer künftigen Einheits-Weltspra<strong>ch</strong>e könne keine<br />

einzige nationale Spra<strong>ch</strong>e, keine Stammesspra<strong>ch</strong>e übergangen werden. Denno<strong>ch</strong> werden in der Zukunft,<br />

na<strong>ch</strong> dem Sieg der Diktatur des Proletariats auf der ganzen Welt, wenn sozusagen alle nationalen<br />

und mit ihnen die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede vers<strong>ch</strong>winden sollen, da alle Spra<strong>ch</strong>en in eine Einheitsweltspra<strong>ch</strong>e<br />

neuer Struktur vers<strong>ch</strong>molzen sind, diese nationalen und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede<br />

no<strong>ch</strong> während einer ziemli<strong>ch</strong> langen Zeit erhalten bleiben, so wie au<strong>ch</strong> die Struktur jeder Spra<strong>ch</strong>e kraft<br />

der Kontinuität der Kultur im Grunde die vormalige bleibt. 118 Man stellt fest, dass Marrs Meinung zur<br />

Weltspra<strong>ch</strong>enfrage mit derjenigen Maksim Gor’kijs übereinstimmte (was etwa die Künstli<strong>ch</strong>keit betrifft),<br />

jedo<strong>ch</strong> denjenigen Malinovskij-Bogdanovs und Krupskajas widerspra<strong>ch</strong> (die für diesen Zweck<br />

eine natürli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e vorzogen). Denno<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ien Marr – wie ni<strong>ch</strong>t unerwartet bei eigensinnigen<br />

akademis<strong>ch</strong>en Theoretikern – im Grunde eine eigene Vision von der künftigen Welteinheitsspra<strong>ch</strong>e<br />

gehabt zu haben.<br />

Im Rahmen des Jafetitis<strong>ch</strong>en Instituts wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die mit der Aufgabe<br />

betraut wurde, „theoretis<strong>ch</strong>e Normen für die künftige allgemeinmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e“ zu erstellen. 119<br />

Ė.K. Drezen – um diese Zeit arbeitete er als Direktor des Polyte<strong>ch</strong>nikums und Instituts für<br />

Kommunikation – gelang es, für sein Bu<strong>ch</strong> ‚Za vseobščim jazykom. Tri veka iskanij‘, das 1928<br />

ers<strong>ch</strong>ien 120 und die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> abhandelte, ein von Marr verfasstes Vorwort zu<br />

erhalten. Dieser Text war insofern von Bedeutung, als er wiederum Marrs <strong>An</strong>si<strong>ch</strong>ten zur künftigen<br />

Einheitsspra<strong>ch</strong>e zum Ausdruck bra<strong>ch</strong>te. Darin offenbarte der Erfinder der jafetitis<strong>ch</strong>en Theorie ni<strong>ch</strong>t<br />

nur persönli<strong>ch</strong> seine skeptis<strong>ch</strong>e Haltung gegenüber der Indogermanistik, wie es si<strong>ch</strong> für einen<br />

marxistis<strong>ch</strong>en Linguisten ziemte, sondern benutzte au<strong>ch</strong> die Gelegenheit, für seine neue Lehre zu<br />

werben und seine volle Sympathie für künstli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en neuen Typs zu demonstrieren, die von der<br />

indogermanis<strong>ch</strong>en (bzw. Indoeuropäis<strong>ch</strong>en) Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft abgelehnt wurden (insbes. von<br />

Brugmann/Leskien). Die Spra<strong>ch</strong>en seien alle künstli<strong>ch</strong>, von der Mens<strong>ch</strong>heit ges<strong>ch</strong>affen, „und au<strong>ch</strong><br />

damit, dass sie als etwas Ges<strong>ch</strong>affenes wie eine Gabe der Natur, die gewissermassen im Kindesalter<br />

mit der Muttermil<strong>ch</strong> eingesogen wird, von Generation zu Generation weiter vererbt werden, hören sie<br />

ni<strong>ch</strong>t auf, künstli<strong>ch</strong> zu sein,“ s<strong>ch</strong>rieb Marr in seinem Vorwort. Die künftige Einheitsspra<strong>ch</strong>e könne<br />

also keine der verbreitetsten lebenden Spra<strong>ch</strong>en der Welt sein, da sie unausbleibli<strong>ch</strong> der bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

Kultur dienten und bürgerli<strong>ch</strong> klassengebunden seien, führte er weiter aus. Für die jafetitis<strong>ch</strong>e Theorie<br />

könne die künftige Spra<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>ts anderes sein als eine künstli<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>affende Spra<strong>ch</strong>e. Marr s<strong>ch</strong>rieb,<br />

dass die indoeuropäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> auf eine natürli<strong>ch</strong>-historis<strong>ch</strong>e und auf jeden Fall<br />

117<br />

Ebd. S. 89.<br />

118<br />

Marr: K voprosu ob istoričeskom processe. 1930. S. 25.<br />

119<br />

V.M. Alpatov: Marr, marrizm i stalinizm. In: Filozofskie issledovanija 4/1993, S. 271-288 (gemäss L.G. Bašindžagjan:<br />

Institut jazyka i myšlenija imeni I.Ja. Marra. In: Vestnik AN SSSR 10-11/1937, S. 258). (Online: http://www.ihst.ru/projects/<br />

sohist/papers/alp93sp.htm).<br />

120<br />

Neuauflage 2004 (http://katalogo.uea.org/katalogo.php?inf=3757). Ob dieses Bu<strong>ch</strong> die „beste Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>“<br />

ist, wie im Katalog vermerkt wird, bleibe dahingestellt).

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