An Frau Prof - Plansprachen.ch
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„Es ist klar, dass die künftige Einheitsweltspra<strong>ch</strong>e eine Spra<strong>ch</strong>e eines neuen Systems sein wird,<br />
eines besonderen, das bisher ni<strong>ch</strong>t existiert hat, so wie die künftige Wirts<strong>ch</strong>aft mit ihrer Te<strong>ch</strong>nik, die<br />
künftige klassenlose Gesells<strong>ch</strong>aft und die künftige klassenlose Kultur. Eine sol<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kann natürli<strong>ch</strong><br />
keine der verbreitetsten lebenden Spra<strong>ch</strong>en der Welt sein, die unweigerli<strong>ch</strong> eine bürgerli<strong>ch</strong>e<br />
Kulturspra<strong>ch</strong>e und eine bürgerli<strong>ch</strong>e Klassenspra<strong>ch</strong>e sein muss, wie au<strong>ch</strong> keine der toten Spra<strong>ch</strong>en zur<br />
internationalen Spra<strong>ch</strong>e der neuen Welt vor der Oktoberrevolution werden konnte, und wie au<strong>ch</strong> in<br />
jener vergangenen Welt keine von ihnen als internationale Spra<strong>ch</strong>e auf Massenbasis hervortrat.“ 117<br />
(Kursive Hervorhebung von AK).<br />
Na<strong>ch</strong> Marrs Auffassung existierten in der Welt keine natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en, denn alle Spra<strong>ch</strong>en<br />
seien künstli<strong>ch</strong> und von der Mens<strong>ch</strong>heit unter bestimmten stadialen Entwicklungen und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Bedingungen mit dem Aufkommen neuer sozialer Formen und neuem Denken ges<strong>ch</strong>affen,<br />
und sie würden ni<strong>ch</strong>t aufhören, ihrer Herkunft na<strong>ch</strong> künstli<strong>ch</strong> zu sein. <strong>An</strong>gesi<strong>ch</strong>ts dieser Lage<br />
könne die Jafetitologie die künftige Spra<strong>ch</strong>e der Mens<strong>ch</strong>heit nur als künstli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affene Spra<strong>ch</strong>e<br />
betra<strong>ch</strong>ten. Bei dieser Arbeit an der Ausprägung einer künftigen Einheits-Weltspra<strong>ch</strong>e könne keine<br />
einzige nationale Spra<strong>ch</strong>e, keine Stammesspra<strong>ch</strong>e übergangen werden. Denno<strong>ch</strong> werden in der Zukunft,<br />
na<strong>ch</strong> dem Sieg der Diktatur des Proletariats auf der ganzen Welt, wenn sozusagen alle nationalen<br />
und mit ihnen die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede vers<strong>ch</strong>winden sollen, da alle Spra<strong>ch</strong>en in eine Einheitsweltspra<strong>ch</strong>e<br />
neuer Struktur vers<strong>ch</strong>molzen sind, diese nationalen und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede<br />
no<strong>ch</strong> während einer ziemli<strong>ch</strong> langen Zeit erhalten bleiben, so wie au<strong>ch</strong> die Struktur jeder Spra<strong>ch</strong>e kraft<br />
der Kontinuität der Kultur im Grunde die vormalige bleibt. 118 Man stellt fest, dass Marrs Meinung zur<br />
Weltspra<strong>ch</strong>enfrage mit derjenigen Maksim Gor’kijs übereinstimmte (was etwa die Künstli<strong>ch</strong>keit betrifft),<br />
jedo<strong>ch</strong> denjenigen Malinovskij-Bogdanovs und Krupskajas widerspra<strong>ch</strong> (die für diesen Zweck<br />
eine natürli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e vorzogen). Denno<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ien Marr – wie ni<strong>ch</strong>t unerwartet bei eigensinnigen<br />
akademis<strong>ch</strong>en Theoretikern – im Grunde eine eigene Vision von der künftigen Welteinheitsspra<strong>ch</strong>e<br />
gehabt zu haben.<br />
Im Rahmen des Jafetitis<strong>ch</strong>en Instituts wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die mit der Aufgabe<br />
betraut wurde, „theoretis<strong>ch</strong>e Normen für die künftige allgemeinmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e“ zu erstellen. 119<br />
Ė.K. Drezen – um diese Zeit arbeitete er als Direktor des Polyte<strong>ch</strong>nikums und Instituts für<br />
Kommunikation – gelang es, für sein Bu<strong>ch</strong> ‚Za vseobščim jazykom. Tri veka iskanij‘, das 1928<br />
ers<strong>ch</strong>ien 120 und die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> abhandelte, ein von Marr verfasstes Vorwort zu<br />
erhalten. Dieser Text war insofern von Bedeutung, als er wiederum Marrs <strong>An</strong>si<strong>ch</strong>ten zur künftigen<br />
Einheitsspra<strong>ch</strong>e zum Ausdruck bra<strong>ch</strong>te. Darin offenbarte der Erfinder der jafetitis<strong>ch</strong>en Theorie ni<strong>ch</strong>t<br />
nur persönli<strong>ch</strong> seine skeptis<strong>ch</strong>e Haltung gegenüber der Indogermanistik, wie es si<strong>ch</strong> für einen<br />
marxistis<strong>ch</strong>en Linguisten ziemte, sondern benutzte au<strong>ch</strong> die Gelegenheit, für seine neue Lehre zu<br />
werben und seine volle Sympathie für künstli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en neuen Typs zu demonstrieren, die von der<br />
indogermanis<strong>ch</strong>en (bzw. Indoeuropäis<strong>ch</strong>en) Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft abgelehnt wurden (insbes. von<br />
Brugmann/Leskien). Die Spra<strong>ch</strong>en seien alle künstli<strong>ch</strong>, von der Mens<strong>ch</strong>heit ges<strong>ch</strong>affen, „und au<strong>ch</strong><br />
damit, dass sie als etwas Ges<strong>ch</strong>affenes wie eine Gabe der Natur, die gewissermassen im Kindesalter<br />
mit der Muttermil<strong>ch</strong> eingesogen wird, von Generation zu Generation weiter vererbt werden, hören sie<br />
ni<strong>ch</strong>t auf, künstli<strong>ch</strong> zu sein,“ s<strong>ch</strong>rieb Marr in seinem Vorwort. Die künftige Einheitsspra<strong>ch</strong>e könne<br />
also keine der verbreitetsten lebenden Spra<strong>ch</strong>en der Welt sein, da sie unausbleibli<strong>ch</strong> der bürgerli<strong>ch</strong>en<br />
Kultur dienten und bürgerli<strong>ch</strong> klassengebunden seien, führte er weiter aus. Für die jafetitis<strong>ch</strong>e Theorie<br />
könne die künftige Spra<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>ts anderes sein als eine künstli<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>affende Spra<strong>ch</strong>e. Marr s<strong>ch</strong>rieb,<br />
dass die indoeuropäis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> auf eine natürli<strong>ch</strong>-historis<strong>ch</strong>e und auf jeden Fall<br />
117<br />
Ebd. S. 89.<br />
118<br />
Marr: K voprosu ob istoričeskom processe. 1930. S. 25.<br />
119<br />
V.M. Alpatov: Marr, marrizm i stalinizm. In: Filozofskie issledovanija 4/1993, S. 271-288 (gemäss L.G. Bašindžagjan:<br />
Institut jazyka i myšlenija imeni I.Ja. Marra. In: Vestnik AN SSSR 10-11/1937, S. 258). (Online: http://www.ihst.ru/projects/<br />
sohist/papers/alp93sp.htm).<br />
120<br />
Neuauflage 2004 (http://katalogo.uea.org/katalogo.php?inf=3757). Ob dieses Bu<strong>ch</strong> die „beste Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>“<br />
ist, wie im Katalog vermerkt wird, bleibe dahingestellt).