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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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9<br />

SAT lautete „Weg mit dem Neutralismus!“ Aus der Sowjetunion waren am Gründungskongress keine<br />

Esperantisten anwesend. Das SAT-Jahrbu<strong>ch</strong> verzei<strong>ch</strong>nete 1922 nur 6 sowjetis<strong>ch</strong>e Mitglieder; 1923<br />

waren es aber s<strong>ch</strong>on 70 und 1924 278 Mitglieder. Lanti interessierte si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> sehr für die neue<br />

politis<strong>ch</strong>e Entwicklung in Russland und sympathisierte anfängli<strong>ch</strong> sogar mit dem Sowjetkommunismus.<br />

Die Zielsetzungen der SAT lauteten ähnli<strong>ch</strong> wie bei der SĖSS: Benutzung des Esperanto zugunsten<br />

der Interessen der internationalen Arbeiterklasse, Verstärkung des Gefühls einer Solidarität unter<br />

den Mens<strong>ch</strong>en, Bildungs- und Aufklärungstätigkeit unter den eigenen Mitgliedern und deren Erziehung<br />

zu Internationalisten. Statt Neutralität oder Parteigehorsam wurde die Überparteili<strong>ch</strong>keit der<br />

Organisation verkündet. Demna<strong>ch</strong> waren in den Reihen der SAT alle Tendenzen des sozialistis<strong>ch</strong>en<br />

Lagers willkommen, so die Kommunisten, Sozialdemokraten, <strong>An</strong>ar<strong>ch</strong>isten, Trockisten usw. Der <strong>An</strong>ationalismus<br />

widerspra<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en Doktrin von der proletaris<strong>ch</strong>en<br />

Bewegung im Kampf für eine klassen- und nationslose Gesells<strong>ch</strong>aft. 27 Aber der Internationalismus<br />

der Esperantisten traf si<strong>ch</strong> mit demjenigen der Kommunisten irgendwie auf ideale Weise.<br />

Um die guten gegenseitigen Beziehungen zu fördern, unterhielt Lanti mit Drezen eine Korrespondenz,<br />

die anfängli<strong>ch</strong> in sehr freundli<strong>ch</strong>em Ton verlief.<br />

Lanti, der am 1. August 1922 von Stettin aus auf einem S<strong>ch</strong>iff und mit einer Sondereinreisegenehmigung<br />

mit anderen Kommunisten und Russlandbegeisterten ins Rei<strong>ch</strong> der Proletarier fuhr, war<br />

bei seiner <strong>An</strong>kunft in Petrograd s<strong>ch</strong>ockiert über das, was er dort alles zu sehen bekam und erlebte: Im<br />

Hotel und auf den Strassen traf er auf Bettler und Prostituierte, eine allgemeine Misere und eine umfassende<br />

Bürokratie, auf s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Essen, und überall war S<strong>ch</strong>mutz und Langsamkeit zu beklagen. In<br />

Moskau war es ni<strong>ch</strong>t anders. So erhielt Lanti einen katastrophalen Eindruck von Russland, der seine<br />

weitere Haltung gegenüber der Sowjetunion na<strong>ch</strong>haltig negativ beeinflussen sollte! 28<br />

In Moskau traf Lanti si<strong>ch</strong> mit dem Vorsitzenden der SĖSS, Ėrnest Drezen. Dieser war als Vizedirektor<br />

des Allrussis<strong>ch</strong>en Zentralexekutivrates der Sowjets tätig und hatte sein Büro im Kreml.<br />

Obwohl Lanti von Drezen freundli<strong>ch</strong> empfangen wurde, stiess er in der Sowjethauptstadt offenbar<br />

denno<strong>ch</strong> auf unerwartet harten Granit, denn Drezen gab ihm zu verstehen, dass er die Ideologie der<br />

SAT als für ni<strong>ch</strong>t genug kommunistis<strong>ch</strong> halte, zumal si<strong>ch</strong> in der SAT au<strong>ch</strong> Sozialdemokraten, <strong>An</strong>ar<strong>ch</strong>isten<br />

und Trockisten tummelten, die den Sowjet- und Kominternführern suspekt vorkamen und mit<br />

denen zusammenzuarbeiten Drezen si<strong>ch</strong> weigerte. Ausserdem tobte in der Führungsmanns<strong>ch</strong>aft der<br />

SĖSS ein Fraktionskampf zwis<strong>ch</strong>en Drezen einerseits und der Gruppe um Demidjuk, Nekrasov und<br />

Futerfas, die die im Juni 1922 gegründete Zeits<strong>ch</strong>rift La nova epoko (Die neue Epo<strong>ch</strong>e) herausgab 29<br />

und si<strong>ch</strong> gegen „die bürgerli<strong>ch</strong>e und bürokratis<strong>ch</strong>e Physiognomie“ der SĖSS ausspra<strong>ch</strong>, andererseits.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en dieser Gruppe und Lanti bahnten si<strong>ch</strong> freunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Kontakte an, die au<strong>ch</strong> in den folgenden<br />

Jahren ni<strong>ch</strong>t abbra<strong>ch</strong>en. Immerhin konnte eine Vereinbarung getroffen werden, wona<strong>ch</strong> die<br />

Redaktion der Zeits<strong>ch</strong>rift La nova epoko bereit war, Abonnementsbeiträge von den sowjetis<strong>ch</strong>en SAT-<br />

Mitgliedern entgegenzunehmen. Infolge dieser Vereinbarung wurde es für sowjetis<strong>ch</strong>e Esperantisten<br />

lei<strong>ch</strong>ter, Kontakte mit ausländis<strong>ch</strong>en Gesinnungsgenossen zu unterhalten. Dies entspra<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>aus den<br />

Absi<strong>ch</strong>ten der Komintern, die si<strong>ch</strong> für eine „Einheitsfront der Werktätigen“ ausspra<strong>ch</strong>, sodass si<strong>ch</strong> bei<br />

dieser Strategie au<strong>ch</strong> die Zusammenarbeit zwis<strong>ch</strong>en SĖSS und SAT ab 1923 eng entfalten konnte.<br />

27<br />

Zum Selbstverständnis des „Arbeiter-Esperantismus“ Lantis s. http://satesperanto.org/-LA-LABORISTA-<br />

ESPERANTISMO-.html.<br />

28<br />

Lantis lesenswerter Reiseberi<strong>ch</strong>t ‚Tri semajnojn en Rusio’ (Drei Wo<strong>ch</strong>en in Russland) ers<strong>ch</strong>ien als Serie in Sennacieca<br />

Revuo, Nov. 1922 bis Juli 1923. 1982 wurde er von SAT als Sonderausgabe na<strong>ch</strong>gedruckt (Exemplar beim Autor). Vgl.<br />

Lantis Eindrücke mit denen Arthur Koestlers, <strong>An</strong>dré Gides, Louis Fis<strong>ch</strong>ers u.a. in: Ein Gott der keiner war. dtv 1962.<br />

29<br />

Weitere Mitarbeiter waren V. Poljakov, G. Deškin, A. Fišer, S. Gajdovskij, A. Jodko, E. Mi<strong>ch</strong>al‘skij, I.I. Zil‘berfarb,<br />

Rozenblat, u.a. (Borsboom 1976, S. 38). Na<strong>ch</strong> sieben Ausgaben wurde La nova epoko 1923 eingestellt. Die Zeits<strong>ch</strong>rift ers<strong>ch</strong>ien<br />

erneut vom Oktober 1928 bis Februar 1933 und vers<strong>ch</strong>wand dana<strong>ch</strong> endgültig. Grigorij Rozenblat hatte in seiner<br />

Jugend die Gelegenheit, in die S<strong>ch</strong>weiz, na<strong>ch</strong> Deuts<strong>ch</strong>land und Frankrei<strong>ch</strong> zu reisen. In der Heimat erwies er si<strong>ch</strong> als glühender<br />

<strong>An</strong>hänger des Kommunismus und des Esperanto (s. http://historio.ru/rozenbla.htm).

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