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werden, no<strong>ch</strong> in einer Zeit herauskamen, in denen sie in Moskau s<strong>ch</strong>on lange verworfen wurden. Er<br />
befand es s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t für peinli<strong>ch</strong>, dass sie den Esperantisten als „wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>“ verkauft werden. 260<br />
Den grundlegenden Irrtum des „Öffentli<strong>ch</strong>en Briefes an Stalin“, den Solzba<strong>ch</strong>er als „ein Dokument<br />
der Verwirrung“ und als eine „unglaubli<strong>ch</strong> grobe Pfus<strong>ch</strong>erei“ bezei<strong>ch</strong>nete, sah er darin, dass<br />
der Brief ein eklatantes Missverständnis enthielt und dass zwei Themen miteinander verwe<strong>ch</strong>selt worden<br />
seien. Während die Esperantisten in ihrem Brief an Stalin von der ‚Frage der internationalen<br />
Hilfsspra<strong>ch</strong>e’ (qua Esperanto) spra<strong>ch</strong>en, habe Stalin in seinem Pravda-Artikel von 1950 den Genossen<br />
die Vision der künftigen gemeinsamen Welteinheitsspra<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> dem Sieg des Sozialismus erklärt.<br />
Stalins Beitrag habe somit also in keiner Weise auf die Esperanto-Bewegung Bezug genommen und<br />
sei sie ni<strong>ch</strong>ts angegangen. 261 Für „grotesk“ hielt Solzba<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> das unsinnige Ges<strong>ch</strong>wätz vom Klassen<strong>ch</strong>arakter<br />
der Spra<strong>ch</strong>e. Er meinte, dass es sinnvoller gewesen wäre, Stalin besser an die Verfolgung<br />
der Esperantisten und an die prekäre Lage der Esperanto-Bewegung in der Sowjetunion zu erinnern.<br />
Im weiteren kritisierte Solzba<strong>ch</strong>er die Zahlen, die Lapenna in dem Brief in Bezug auf die sozialen<br />
Spre<strong>ch</strong>ersegmente verwendet hatte und korrigierte sie mit Ziffern, die von kompetenteren und moderneren<br />
Linguisten wie Max Müller, Mario Pei und Leonard Bloomfield stammten.<br />
Lapenna, der als ungemein eitle Persönli<strong>ch</strong>keit kaum Kritik von anderen ertrug, s<strong>ch</strong>lug in einer<br />
umfassenden Replik unzimperli<strong>ch</strong> zurück und verwahrte si<strong>ch</strong> mit ätzendem Hohn und beissendem<br />
Spott eines gekränkten Akademikers gegen die Einwände seines Widersa<strong>ch</strong>ers, bezei<strong>ch</strong>nete Solzba<strong>ch</strong>ers<br />
Artikel als „vulgäre politis<strong>ch</strong>e Burleske“ und re<strong>ch</strong>tfertigte si<strong>ch</strong> und seine Version der Darstellung<br />
mit dem obstinaten Eifer eines dogmatis<strong>ch</strong>en Kommunisten. 262 Lapenna, der einzige Superman<br />
unter den eingefleis<strong>ch</strong>ten Esperanto-Propagandisten, fühlte si<strong>ch</strong> unverstanden, blieb im Prinzip jedo<strong>ch</strong><br />
auf seinen alten Positionen bestehen und ignorierte zu seinem eigenen späteren Verderben jeden guten<br />
Rats<strong>ch</strong>lag. 263<br />
Ob Stalin diesen Brief je erhalten hat oder sogar zu lesen bekam und wel<strong>ch</strong>es allenfalls seine<br />
Reaktionen darauf oder die späteren Konsequenzen für die Esperanto-Bewegung gewesen sein könnten<br />
lässt si<strong>ch</strong> mangels Informationen ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzen. Es ist in diesem Zusammenhang aber immerhin<br />
interessant, die Haltung der sowjetis<strong>ch</strong>en Delegation anlässli<strong>ch</strong> einer UNESCO-Generalversammlung<br />
in Montevideo (1954) zu erwähnen. Sie übte Stimmenthaltung aus, als es darum ging, eine UNESCO-<br />
Resolution zugunsten des Esperanto zu verabs<strong>ch</strong>ieden. Ob si<strong>ch</strong> der Brief der UEA/SAT an Stalin im<br />
sowjetis<strong>ch</strong>en Dossier befand, über das Stoletov und Zvorykin allenfalls verfügten, ist unbekannt. Au<strong>ch</strong><br />
im Fall der <strong>An</strong>nahme dieser Resolution spielte der glei<strong>ch</strong>e Lapenna erneut die federführende Rolle und<br />
ging in Esperanto-Kreisen als „Held von Montevideo“ ein.<br />
Trotz allem und trotz der Überreaktion der UEA/SAT und Lapennas: Der Zeitpunkt der<br />
Veröffentli<strong>ch</strong>ung und die Auswahl der Themen des spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Beitrags Stalins von<br />
1950 wirken wie ein skurriler Zufall, bei dem ein Esperantist zwangsläufig auf die Idee kommt, si<strong>ch</strong><br />
zu fragen, ob er indirekt viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> in irgendeinem Zusammenhang mit der Esperanto-Frage in<br />
260<br />
Lapenna bezei<strong>ch</strong>nete Marr während der Unesco-Konferenz in Montevideo 1954 als „hervorragenden Linguisten“ und in<br />
seinem Bu<strong>ch</strong> ‚Retoriko’ völlig unkritis<strong>ch</strong> als „grossen russis<strong>ch</strong>en Linguisten, Historiker und Ethnologen“. Nun, an einer<br />
Stelle fügte Lapenna im letzten Moment zwar no<strong>ch</strong> hinzu, dass au<strong>ch</strong> er Zweifel an den Phantasien Marrs hege und gab zu,<br />
z.B. Marrs Theorie von den vier Urlauten unkritis<strong>ch</strong> aufgenommen zu haben. In der 2. Auflage von Lapennas Bu<strong>ch</strong> ‚Retoriko’<br />
vers<strong>ch</strong>wanden dann Wörter wie ‚gross’, „tiefgründige wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>ungen“ in Bezug auf Marr wieder.<br />
261<br />
Solzba<strong>ch</strong>er rügte in diesem Zusammenhang die UEA-Vorstandsmitglieder Ernfried Malmgren (Präsident), Hans Jakob,<br />
Paul Kempeneers, David Kennedy, Arthur C. Oliver, die wohl in Unkennntis der Dinge diesen Brief mit der Unters<strong>ch</strong>rift der<br />
UEA versehen liessen, weil sie von Lapenna unter Druck gesetzt worden waren, dem ni<strong>ch</strong>t einmal der (s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e) UEA-<br />
Präsident selbst zu widerstehen vermo<strong>ch</strong>te, wie später ein UEA-Vorstandsmitglied Solzba<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>rieb.<br />
262<br />
S. ebenfalls unter http://www.ivolapenna.org/verkoj/books/krit.pdf.<br />
263<br />
Na<strong>ch</strong>dem er si<strong>ch</strong> gestürzt und verstossen fühlte, verliess der „grosse Führer“ Ivo Lapenna 1974 seine Organisation und<br />
gründete eine eigene „neutrale“ Gegenbewegung, der jedo<strong>ch</strong> wenig Erfolg bes<strong>ch</strong>ieden war. Da der Brief an Stalin ni<strong>ch</strong>t von<br />
Lapenna persönli<strong>ch</strong> unterzei<strong>ch</strong>net war, vermied man später in seiner ‚offiziösen’ Biographie und in der ‚offiziösen’ Lapenna-<br />
Bibliographie’ ihn zu erwähnen. Eine 2001 in Dänemark ers<strong>ch</strong>ienene Fests<strong>ch</strong>rift (C. Minnaja, Red.: Eseoj memore al Ivo<br />
Lapenna) verfolgte den Zweck, Lapenna als makellosen Halbgott und Superdemokraten zu kanonisieren.a<strong>ch</strong>philo