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An Frau Prof - Plansprachen.ch

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nung zur Frage des Esperanto ändern werde. Aber ni<strong>ch</strong>t zu diesem Zweck habe man ihm diesen Brief<br />

ges<strong>ch</strong>rieben. Man habe ledigli<strong>ch</strong> den eigenen Standpunkt klar festhalten wollen. Im Übrigen werde die<br />

weitere Entwicklung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zeigen, wer Re<strong>ch</strong>t habe.<br />

Die Verfolgung der Esperanto-Bewegung in der Sowjetunion unter Stalin und die Ermordung<br />

einzelner Esperantisten wurde in dem Brief mit keinem Wort erwähnt. Es ist unklar, wie genau zu<br />

diesem Zeitpunkt man auf Seiten der Esperanto-Bewegung (d.h. in der UEA und SAT) über diesen<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalt informiert war, zumal es im Ostblock damals zu den strengen Tabus gehörte, über den<br />

‚Grossen Terror’ der 30er Jahre zu diskutieren. Einzelne Tatsa<strong>ch</strong>en über das Vers<strong>ch</strong>winden von sowjetis<strong>ch</strong>en<br />

Esperantisten waren natürli<strong>ch</strong> in den Westen dur<strong>ch</strong>gesickert.<br />

Der Brief ers<strong>ch</strong>ien ni<strong>ch</strong>t nur in den Zeits<strong>ch</strong>riften Esperanto (UEA) und Sennaciulo (SAT),<br />

sondern au<strong>ch</strong> als Dok. A/VI/3 des von Lapenna 1952 gegründeten ‚Centers for Resear<strong>ch</strong> and Documentation<br />

on World Language Problems’ (CED) auf Englis<strong>ch</strong> und Französis<strong>ch</strong> und wurde in vielen<br />

Zeitungen der Welt abgedruckt, so au<strong>ch</strong> in Le Monde (Paris). 255<br />

Ziemli<strong>ch</strong>e Entrüstung rief dieser Brief aber vor allem bei einem bedeutenden USamerikanis<strong>ch</strong>en<br />

Esperantisten deuts<strong>ch</strong>er Herkunft namens Wilhelm Solzba<strong>ch</strong>er (1907-91) hervor, der<br />

ni<strong>ch</strong>t nur eine der herausragendsten Gestalten der Esperanto-Bewegung in den USA, sondern au<strong>ch</strong> ein<br />

s<strong>ch</strong>arfsinniger Kritiker Lapennas war, den er zusammen mit Marr, Drezen, Stalin und Čikobava in<br />

einem Zug wohl ni<strong>ch</strong>t ganz zu Unre<strong>ch</strong>t als „S<strong>ch</strong>arlatane der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft“ entlarvte. 256 In einer<br />

lesenswerten Artikelserie, die im American Esperanto Magazine (Amerika Esperantisto) des Jahres<br />

1957 unter dem Titel ‚Ĉarlatana lingvoscienco’ ers<strong>ch</strong>ien, 257 wies Solzba<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t nur auf eklatante<br />

Mängel in Lapennas berühmten Bu<strong>ch</strong> ‚Retoriko’ (Rhetorik) hin, das 1950 herauskam und vom Verleger<br />

als „das meist gelesene Esperanto-Bu<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Weltkrieg“ verkauft wurde, 258 sondern denunzierte<br />

den exjugoslawis<strong>ch</strong>en Juristen als opportunistis<strong>ch</strong>en Marr-<strong>An</strong>hänger und getraute si<strong>ch</strong> erstmals,<br />

diese Kritik öffentli<strong>ch</strong> kundzutun. 259 Solzba<strong>ch</strong>er kam zur Einsi<strong>ch</strong>t, dass Lapenna offenbar re<strong>ch</strong>t wenig<br />

vom Wesen der Spra<strong>ch</strong>e verstanden haben muss, denn das entspre<strong>ch</strong>ende Kapitel über die Spra<strong>ch</strong>e in<br />

seinem Bu<strong>ch</strong> ‚Retoriko’ hielt er s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t für eine Katastrophe. Es sei „verpfus<strong>ch</strong>t“ und im Grunde<br />

„wertlos“, „absurd“ und „sogar gefährli<strong>ch</strong>“, da die Fakten weitgehend fals<strong>ch</strong> dargestellt worden seien.<br />

Solzba<strong>ch</strong>er hielt es überdies für unmögli<strong>ch</strong>, dass Bü<strong>ch</strong>er, in denen die Phantasien Marrs propagiert<br />

255<br />

Esperanto-Text s. online unter http://www.ivolapenna.org/verkoj/books/krit.pdf. Der Brief wurde in Lapennas ICNEM-<br />

Spra<strong>ch</strong>rohr Horizonto 4/1980 mit ausführli<strong>ch</strong>em Kommentar veröffentli<strong>ch</strong>t, ebenfalls in dem Bu<strong>ch</strong> ‚Kritikaj studoj defende<br />

de Esperanto’ (online abrufbar unter http://www.ivolapenna.org/verkoj/books/krit.pdf).<br />

256<br />

Geboren 1907 in Honnef am Rhein (Deuts<strong>ch</strong>land), war Solzba<strong>ch</strong>er Doktor der politis<strong>ch</strong>en und ökonomis<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aften,<br />

Linguist mit Kenntnis zahlrei<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>en, Übersetzer, Journalist, S<strong>ch</strong>riftsteller, Universitätsdozent und Organisator<br />

von Kongressen und Mitglieder vieler wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Organisationen, einges<strong>ch</strong>lossen der Esperanto-Akademie. Der<br />

Esperanto-Bewegung s<strong>ch</strong>loss er si<strong>ch</strong> 1921 an und wurde vor allem in katholis<strong>ch</strong>en Kreisen tätig. Aus Überzeugungsgründen<br />

musste er 1933 Deuts<strong>ch</strong>land verlassen. In der Folge hielt er si<strong>ch</strong> in Frankrei<strong>ch</strong> und den Beneluxstaaten auf, um 1941 in die<br />

USA zu emigrieren. Dort war er bis 1953 Präsident der Esperanto-Vereinigung Nordamerikas (ELNA) und Redaktor des<br />

American Esperanto-Magazine, wo seine lesenwerten Beiträge ers<strong>ch</strong>ienen. Seine Russis<strong>ch</strong>kenntnisse befähigten ihn, die<br />

Originaltexte etwa in Voprosy jazykoznanija zu lesen. 1960-61 leitete er ein Esperanto-Pilotprojekt des Senders Voice of<br />

America. Im Zusammenhang mit dem si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ärfenden <strong>An</strong>tikommunismus in der McCarthy-Ära distanzierte Solzba<strong>ch</strong>er<br />

si<strong>ch</strong> von der Esperanto-Bewegung zunehmend, während sein Gesinnungspartner G.A. Connor, der den McCarthysmus offen<br />

praktizierte, 1956 aus dem Esperanto-Weltbund (UEA) ausges<strong>ch</strong>lossen wurde.<br />

257<br />

S. W. Solzba<strong>ch</strong>er: Ĉarlatana lingvoscienco. Marr-Drezen-Stalin-Čikobava-Lapenna. In: American Esperanto-Magazine,<br />

Serie März/April 1957 bis Jan./Febr. 1958.<br />

258<br />

Auf Russis<strong>ch</strong> ist das Bu<strong>ch</strong> ‚Rhetorik’ online unter http://www.ivolapenna.org/verkoj/books/rus_retoriko.pdf verfügbar.<br />

<strong>An</strong>dere Bü<strong>ch</strong>er Lapennas sind online unter http://www.ivolapenna.org/verkoj/books abrufbar.<br />

259<br />

Solzba<strong>ch</strong>er fügte hinzu, dass er si<strong>ch</strong> erst jetzt, sieben Jahre na<strong>ch</strong> Ers<strong>ch</strong>einen von Lapennas Bu<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden habe, si<strong>ch</strong><br />

öffentli<strong>ch</strong> darüber zu äussern, ebenfalls über den „Öffentli<strong>ch</strong>en Brief an Stalin“. Den zweiten Teil des Bu<strong>ch</strong>es von Lapenna<br />

über die Rhetorik hingegen fand dur<strong>ch</strong>aus Solzba<strong>ch</strong>ers <strong>An</strong>erkennung. Selbst Gaston Waringhien (1901-91), einer der führenden<br />

Esperantologen und vormaliger Präsident der Esperanto-Akademie, s<strong>ch</strong>ien auf den Blendeffekt des glänzenden Lapenna<br />

hereingefallen zu sein, indem er das Bu<strong>ch</strong> ‚Retoriko’ im Vorwort als „so wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> redigiert, so zweckmässig zu gebrau<strong>ch</strong>en,<br />

gedankli<strong>ch</strong> so rei<strong>ch</strong>haltig“ <strong>ch</strong>arakterisierte.

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