Download als PDF (ca. 23 MB) - Förderverein des Canisianum
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Abitur 2009 A<br />
Religionsarbeit. Einen Monat später folgten<br />
schließlich noch die mündlichen Prüfungen<br />
in all diesen Fächern.<br />
Seitdem ist viel Zeit vergangen. Zum<br />
Glück stellen sich die Anforderungen im<br />
Abitur anders dar <strong>als</strong> dam<strong>als</strong>. Geblieben<br />
ist jedoch die Frage, was man in seiner<br />
Schulzeit lernen soll. Oder anders: „Worin<br />
besteht denn eigentlich die Hauptaufgabe<br />
eines Gymnasiums? - Soll das Gymnasien<br />
stärker auf den zukünftigen Beruf vorbereiten?<br />
- Soll es sich mehr und entschiedener<br />
den Anforderungen der Wirtschaft stellen?<br />
Vielleicht erinnern Sie sich: Es ist noch gar<br />
nicht so lange her, da wurden die Stimmen<br />
derjenigen immer lauter, die das gesamte<br />
Schulwesen radikal auf wirtschaftliche Bedürfnisse<br />
umstellen wollten - auf die sog.<br />
„New Economy“. Dies sollte eine Umstellung<br />
nicht etwa auf die Bedürfnisse <strong>des</strong><br />
Menschen sein, schon gar nicht auf die der<br />
Schülerinnen und Schüler, sondern auf die<br />
<strong>des</strong> freien Marktes. Wir sehen in der jetzigen<br />
Wirtschaftskrise, welche Folgen das gehabt<br />
hätte. Zum Glück haben sich diese Stimmen<br />
nicht durchsetzen können.<br />
Damit ist aber nur gesagt, wie sich<br />
Schule nicht ausrichten soll. Vermutlich<br />
ist es konsensfähig, wenn ich feststelle,<br />
dass die Schule ein recht hohes Maß an<br />
Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
vermitteln soll. Vielleicht können Sie<br />
die Ankündigung, dass sich der Abiturient<br />
von heute auf ein lebenslanges Lernen einstellen<br />
muss, schon nicht mehr hören. Zu<br />
Unrecht wird das häufig mit erhobenem<br />
Zeigefinger angekündigt. Wenn man den<br />
Begriff „Wissen“ in einem Lexikon nachschlägt,<br />
so findet man beispielsweise, dass<br />
es das Wissen an und für sich nicht gibt,<br />
sondern: „Wissen ist Änderungen unterworfen“.<br />
Das lebenslange Lernen ist <strong>als</strong>o keine<br />
neue Erkenntnis, sondern liegt in der Natur<br />
der Sache selbst. Jeder Computernutzer<br />
– und das dürfte wahrscheinlich jeder von<br />
uns sein – weiß doch, dass eine Datenbank,<br />
die nicht gepflegt wird, von Woche zu Woche<br />
wertloser wird.<br />
Der Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten hat in der Schule eine<br />
zentrale Stellung, ist aber bei weitem noch<br />
nicht das alleinige Ziel, das unsere Schule<br />
verfolgt. Wir bestehen darauf, dass am<br />
<strong>Canisianum</strong> mehr gelernt und eingeübt<br />
wird <strong>als</strong> nur irgendwelche Nützlichkeiten<br />
und bloß unmittelbar Brauchbares. Unsere<br />
Schule versteht sich nicht <strong>als</strong> Ausbildungsstätte,<br />
sondern ausdrücklich und dezidiert<br />
<strong>als</strong> Bildungsstätte, <strong>als</strong> Stätte allgemeiner<br />
Bildung.<br />
Doch was bedeutet „Allgemeinbildung“<br />
oder „allgemeine Bildung“? Das Bildungsverständnis,<br />
das zumin<strong>des</strong>t die Gymnasien<br />
in unserem Land vertreten, geht nicht in<br />
allem, aber doch in grundlegenden Momenten<br />
auf Wilhelm von Humboldt zurück.<br />
Humboldt hat es seinerzeit unternommen,<br />
Bildung zu organisieren, und zwar nicht<br />
nur <strong>als</strong> ein bestimmtes Gefüge von Lernschritten<br />
und Lernzielen, sondern vor allem<br />
auch <strong>als</strong> einen organischen Erziehungsprozess,<br />
durch den der Mensch befähigt werden<br />
soll, sich selbst <strong>als</strong> Gesamtpersönlichkeit<br />
zu begreifen und zu entfalten. In der Pädagogik<br />
von heute ist das ein ganz moderner<br />
Standpunkt, welcher z.B. bei der Idee <strong>des</strong><br />
„ganzheitlichen Lernens“ deutlich wird.<br />
Mensch, werde, was du bist! An diesem<br />
Motto orientierte sich Wilhelm von Humboldt<br />
und protestierte damit gleichzeitig<br />
energisch gegen die Forderung: „Mensch,<br />
werde so, wie etwa die mächtigen Personen,<br />
Institutionen oder Organisationen – oder<br />
wer auch immer – dich gerne hätten!“<br />
So verstanden hat Bildung in der Tat<br />
etwas Gefährliches für eingeschränkte<br />
Zielvorstellungen: Sie setzt eben nicht<br />
auf die Gleichheit der Menschen, sondern<br />
hat die Ungleichheit der Menschen<br />
zur Voraussetzung. Sie zielt darauf ab, das<br />
Freiheitspotenzial jeder einzelnen Persönlichkeit<br />
zu entfalten.<br />
Und, wenn ich eines bestätigen kann:<br />
Jede und jeder von Ihnen ist anders. Jede<br />
und jeder von Ihnen hat einen individuellen<br />
Kopf. Jeder von Ihnen hat nicht nur seinen<br />
eigenen Charakter, sondern ist ein eigener<br />
Charakter. Und das ist gut so!<br />
Aber die Betonung <strong>des</strong> Persönlichen<br />
und Einzigartigen ist nur die eine Seite der<br />
Medaille. Die zweite Seite zeigt den Anderen,<br />
konzentriert sich auf das Du und auf<br />
das Wir, verweist uns <strong>als</strong>o auf das Allgemeine<br />
und die Allgemeinheit. Mit großem<br />
Interesse habe ich vor zwei Wochen in den<br />
„Westfälischen Nachrichten“ einen Artikel<br />
gelesen, in dem die Ergebnisse einer Studie<br />
zum Thema „Vision Deutschland - Wege in<br />
die Welt von morgen“ vorgestellt wurden.<br />
Die Überschrift kündigte einen „Abschied<br />
von den „Ich-lingen“ an. In dem Artikel<br />
selbst resümieren Zukunftsforscher, dass<br />
auf die Wirtschaftskrise eine Gesellschaft<br />
der Gegenseitigkeit folge.<br />
Echte Bildung will die Entfaltung der<br />
Persönlichkeit in sozialer Verantwortung.<br />
Damit wendet sich Wilhelm von Humboldt<br />
gegen das Heranziehen von Fachidioten, gegen<br />
die schon in jungen Jahren einsetzende<br />
Verengung <strong>des</strong> Blickfel<strong>des</strong>. Die Entwicklung<br />
zum Spezialisten ist in unserer Gesellschaft<br />
weit fortgeschritten und es mehren sich die<br />
Stimmen, die in dieser Entwicklung eine<br />
ernste Bedrohung für unser demokratisch<br />
verfasstes Zusammenleben sehen. So macht<br />
Alt-Bun<strong>des</strong>kanzler Helmut Schmidt in seinem<br />
Bestseller „Außer Dienst“ deutlich,<br />
dass Führungspersönlichkeiten nicht diejenigen<br />
sind, die sich über die Fülle ihres<br />
Portmonees definieren. Führungspersönlichkeiten<br />
sind vielmehr diejenigen, die mit<br />
anderen kommunizieren, überdies wissen,<br />
was zu tun ist – und nicht zuletzt – auch zu<br />
dem stehen, was sie sagen und tun. Es sind<br />
<strong>als</strong>o Menschen, die Verantwortung übernehmen.<br />
A Abitur 2009