50Intervention bei Auffälligkeiten <strong>und</strong> BeratungRechtlich gilt jede Erkrankung bei Arbeitnehmern gr<strong>und</strong>sätzlich als Privatsache (bei Beamten istdie rechtliche Gr<strong>und</strong>lage eine andere, siehe 3.2.3) <strong>und</strong> es besteht das Recht auf freie Arzt- <strong>und</strong>Behandlungswahl. Die mit Sanktionen belegte Auflage, eine von betrieblicher Seite vorgegebeneBeratung aufzusuchen oder sogar eine Therapie anzutreten, verstößt gegen dieses Recht. DieAufforderung, eine Beratungsstelle oder Therapieeinrichtung aufzusuchen, muss deshalb immerdeutlich als Hilfeangebot gekennzeichnet werden. Im fortgeschrittenen Stufenplan kann dasAufsuchen von Beratung sogar mit Nachdruck empfohlen werden. Allerdings ist in beiden Fällenzu berücksichtigen, dass die Nichtannahme dieses Hilfeangebots nach geltendem Recht disziplinarischnicht zu beanstanden ist. Das gleiche gilt für die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe,denn sie gehört zum privaten Lebensbereich von Beschäftigten. Die Nichtteilnahme an derSelbsthilfegruppe entgegen der <strong>betrieblichen</strong> Auflage, so die Rechtsprechung, rechtfertigt keinearbeitsrechtlichen Konsequenzen. Sanktioniert werden können nur die erneuten oder fortgesetztenVerstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten.Solange die Auflage, eine Beratungsstelle aufzusuchen, nicht unmittelbar aus arbeitsvertraglichenVerpflichtungen abgeleitet werden kann, besteht auch keine Handhabe, einen Nachweisfür das Aufsuchen der Beratungseinrichtung zu verlangen. (Bei Beamten lassen sich aus demDienstrecht allerdings weitergehende Pflichten ableiten, siehe 3.2.3). Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmernauch nicht die Auflage machen, sich bei einer internen Einrichtung beraten zu lassen,er kann sie allerdings im Sinne des erweiterten Arbeitsschutzes <strong>zur</strong> Abwendung ges<strong>und</strong>heitlicherGefährdungen verbindlich auffordern, sich durch interne Beratungskräfte oder Ansprechpersonenüber Beratungsangebote informieren zu lassen.Auflagen, die in den Stufengesprächen gemacht werden, müssen unmittelbar in Zusammenhangmit dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehen oder im Weisungsrecht des Arbeitgebersliegen. Dazu kann auch ein individuelles Alkohol- oder Drogenkonsumverbot zählen, sofern esals Zusatz zum Arbeitsvertrag vereinbart wird.Ein Gespräch nach dem Interventionsleitfaden ist ein Gespräch zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong>dem/der Beschäftigten im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrags. Es unterliegt damit dembesonderen Persönlichkeits- <strong>und</strong> Vertrauensschutz. Dies gilt insbesondere für das Stufengespräch,das zunächst ein Hilfe-, aber auch ein Disziplinargespräch ist. Weitere Personen, wieBetriebs-/Personalräte, Schwerbehindertenvertrauensleute, Gleichstellungsbeauftragte dürfendeshalb nur mit Einverständnis der betroffenen Person am Stufengespräch teilnehmen. Das giltin gleicher Weise auch für interne oder externe Beratungspersonen in der Sucht- oder Sozialberatung.Auch mit ihrer Teilnahme am Gespräch muss der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin sich einverstandenerklären, ausgenommen sie werden als Vertretung des Arbeitgebers hinzugezogen.Der/die Beschäftigte kann jedoch eine Person ihres Vertrauens aus dem Betrieb zum Gesprächmitbringen. Personen aus dem weiteren Umfeld, z.B. Kollegen oder Familienangehörige, solltenin keinem Fall zu Stufengesprächen hinzugezogen werden. Der/dem betroffenen Beschäftigtenkönnen allerdings gemeinsame Beratungsgespräche mit einem erweiterten Personenkreis angebotenwerden, um das soziale Umfeld auf Wunsch mit einzubeziehen.Eine intensive Fallbegleitung, wie sie das neue Interventionskonzept ab der dritten Stufe desStufenplans als Angebot vorsieht, <strong>und</strong> eine Fallabstimmung mit anderen Beteiligten aus demBetrieb bedarf immer der Einwilligung durch des/der betroffenen Beschäftigten. Auch Kontaktewährend einer stationären Therapie durch Beauftragte des Betriebes oder Personen des kollegialenUmfeldes sind nur mit Einverständnis der betroffenen Person zulässig.Übergeordnete Rechtsvorschriften müssen bei der Formulierung des Interventionsleitfadens <strong>und</strong>Stufenplans in jedem Fall berücksichtigt werden. Eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung kanndiese nicht außer Kraft setzen. Insofern verstößt die Formulierung "....wird die Kündigung ausgesprochen"in der letzten Stufe des Stufenplans gegen dieses Prinzip. Das Kündigungsschutzgesetzerfordert bei Kündigungen immer eine Prüfung der sozialen Angemessenheit im Einzelfall.Deshalb kann im Stufenplan nur vorgegeben werden, dass "das Kündigungsverfahren eingeleitetwird" oder "....die Möglichkeit der Kündigung geprüft wird".
Intervention bei Auffälligkeiten <strong>und</strong> Beratung 51Arbeitsschritte Eine dringende Überprüfung der rechtlichen Korrektheit <strong>und</strong> Angemessenheit der Regelungensowie des aktuellen fachlichen Standards in bestehenden Stufenplänen. Anpassung oder Überarbeitung der bestehenden Interventionsgr<strong>und</strong>lagen (Stufenpläne,Handlungsanleitungen). Planung von Qualifizierungs- <strong>und</strong> Weiterbildungsangeboten, Refreshing-Seminare für Ansprechpersonenin der <strong>betrieblichen</strong> Suchtprävention <strong>und</strong> Suchthilfe, für Personalverantwortliche<strong>und</strong> Interessenvertretungen zu den rechtlichen Standards für Interventionen nachInterventionsleitfaden <strong>und</strong> Stufenplan.Literatur <strong>und</strong> MaterialienDHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.)(2001). Substanzbezogene Störungen amArbeitsplatz. Text: U.Pegel-Rimpl. 2.Aufl. Hamm: DHS.Fleck, Jürgen (2004). Gutachten: Rechtliche Aspekte zum Interventionsleitfaden <strong>und</strong> Stufenplanin der <strong>betrieblichen</strong> Suchtprävention. Berlin.Künzl, R. / Oberlander, T. (2005). Sucht <strong>und</strong> Prävention im Betrieb. Alkohol, Drogen, Medikamente <strong>und</strong>Tabak. In: Arbeit <strong>und</strong> Arbeitsrecht. 60.Jahrg. Sonderausgabe. Berlin: Hussmedien.Rahmenempfehlung <strong>zur</strong> Suchtprävention <strong>und</strong> Suchthilfe in der niedersächsischen Landesverwaltung..Hannover Juni 20063.2.3 Besonderheiten des BeamtenrechtsFür Beamte ergeben sich aus dem Dienstverhältnis besondere Pflichten, die von den arbeitsrechtlichenVerpflichtungen erheblich abweichen.So haben Beamte eine dienstrechtlich begründete Pflicht, <strong>zur</strong> Erhaltung ihrer Ges<strong>und</strong>heit beizutragen.Daraus leitet sich u.a. ab, dass Beamte - anders als Arbeiter <strong>und</strong> Angestellte - durchausvom Dienstherrn aufgefordert werden können, sich in Beratung <strong>und</strong> in Behandlung zu begeben<strong>und</strong> darüber auch Nachweise zu erbringen.Verstöße gegen diese Pflicht können denn auch disziplinarisch belangt werden. Für beamtetePersonen, die aufgr<strong>und</strong> einer Suchterkrankung in einer Entwöhnungstherapie waren, gilt z.B. dieAnnahme, dass eine Wiederaufnahme des Suchtmittelkonsums als selbstverschuldeter Rückfall,<strong>und</strong> damit als Verstoß gegen dienstrechtliche Pflichten zu werten ist. Die Person hat in derTherapie gelernt, so die Begründung, dass nur Abstinenz die Krankheit zum Stillstand bringenkann. Die disziplinargerichtlich für einen Rückfall verhängten Sanktionen gehen bis <strong>zur</strong> Aberkennungder Ruhestandbezüge.In den <strong>betrieblichen</strong> Interventionskonzepten <strong>und</strong> Stufenplänen sind die spezifischen Vorschriftendes B<strong>und</strong>esdisziplinargesetzes für B<strong>und</strong>esbeamte sowie die Landesdisziplinargesetze bzw.Landesdisziplinarordnungen für Landesbeamte ebenfalls zu berücksichtigen. Diese Vorschriftensind übergeordnetes Recht <strong>und</strong> dürfen durch Dienstvereinbarungen nicht eingeschränkt werden.Nach dem Legalitätsprinzip ist bei Beamten ein Disziplinarverfahren zwingend einzuleiten, sobaldausreichend Anhaltspunkte bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens begründen.Diese Regelung erschwert eine Berücksichtigung der Besonderheiten betrieblicherInterventionen bei Suchtmittelauffälligkeiten. Der Einstieg in den Stufenplan sieht z.B. ein Vier-Augen-Gespräch mit dem/der unmittelbaren Vorgesetzten vor, das ohne disziplinarische Konsequenzenbleiben soll, während bei einem Verstoß gegen dienstrechtliche Pflichten bereits eineVorermittlung zum Disziplinarverfahren eingeleitet werden müsste. Auch darf in einem Stufen-