Landarbeiter, schrieb am 3. November 1987 an Detlef Schwer<strong>in</strong>:»Sehr geehrter Herr,Durch neuere Geschichtsforschungen s<strong>in</strong>d wir darauf gestoßen, <strong>das</strong>s Ihr HerrVater, Ulrich Graf Schwer<strong>in</strong> von Schwanenfeld, zur Gruppe der Patriotendes 20. Juli 1944 um Oberst Graf Schenk von Stauffenberg gehörte undfür se<strong>in</strong> mutiges E<strong>in</strong>treten <strong>gegen</strong> die Hitlerbarbarei und für e<strong>in</strong> besseresDeutschland von <strong>den</strong> Faschisten ermordet wurde.Wir haben beschlossen, ihm zu Ehren auf dem Gelände se<strong>in</strong>es ehemaligenWohnsitzes <strong>in</strong> Göhren, Kreis Strasburg, e<strong>in</strong>en schlichten Ge<strong>den</strong>kste<strong>in</strong> zuerrichten und am 19. November 1987 um 14.30 Uhr dort e<strong>in</strong> Ge<strong>den</strong>kmeet<strong>in</strong>gunter Teilnahme von Vertretern der Öffentlichkeit des Ortes unddes Kreises durchzuführen.Zu dieser Veranstaltung lade ich Sie herzlich e<strong>in</strong> und bitte Sie um Bescheid,ob wir mit Ihrer Teilnahme rechnen können […]«Detlef Schwer<strong>in</strong> konsultierte sogleich <strong>den</strong> historischen Kalender, um herauszuf<strong>in</strong><strong>den</strong>,warum gerade am 19. November. An diesem Tag waren dieTruppen der Wehrmacht vor Stal<strong>in</strong>grad e<strong>in</strong>geschlossen wor<strong>den</strong>. Schwer<strong>in</strong> warfest davon überzeugt, <strong>das</strong>s die Wahl dieses Datums aussagen sollte, <strong>das</strong>s dieMänner des 20. Juli erst <strong>in</strong> Opposition gerieten, als der Krieg bereits verlorenwar, <strong>das</strong>s sie – wie es häufig <strong>in</strong> der DDR-Propaganda der 50er und 60er Jahrezu lesen war – »die Ratten« waren, die »<strong>das</strong> s<strong>in</strong>kende Schiff verlassen« hatten.Zusammen mit der Kopie von Göcks Brief schickte er mir auch e<strong>in</strong>e Kopiese<strong>in</strong>er Antwort:»Sehr geehrter Herr Göck,Vielen Dank für Ihren Brief vom 3.11., <strong>in</strong> dem Sie mich zur Ge<strong>den</strong>kfeierfür me<strong>in</strong>en Vater <strong>in</strong> Göhren am 19.11. e<strong>in</strong>la<strong>den</strong>. Ich sage gerne zu […]Me<strong>in</strong> Vater hat – seit dem Mord von Potempa endgültig über die Nationalsozialistenbelehrt und seit der Su<strong>den</strong>tenkrise im aktiven <strong>Widerstand</strong>– mit heißem Herzen für e<strong>in</strong> Deutschland der Rechte und der Gerechtigkeitgekämpft. Dafür hat er schließlich zusammen mit Stauffenberg und vielenanderen Freun<strong>den</strong> mit dem Tod bezahlt. Ich b<strong>in</strong> bewegt und dankbar, <strong>das</strong>s<strong>das</strong> Bezirkskomitee Neubran<strong>den</strong>burg der Antifaschistischen <strong>Widerstand</strong>skämpferme<strong>in</strong>en Vater <strong>in</strong> der vorgesehenen Weise ehren will.Da ich selbst Historiker b<strong>in</strong> und z.Z. an e<strong>in</strong>em Buch über me<strong>in</strong>en Vater undse<strong>in</strong>e Freunde arbeite, b<strong>in</strong> ich gern bereit, zu Fragen, die evtl. im Vorfeld der128
Feier auftauchen, Stellung zu nehmen. Gerne wür<strong>den</strong> me<strong>in</strong>e Frau und ichzusammen kommen. Ich gehe davon aus, <strong>das</strong>s dem nichts ent<strong>gegen</strong> steht.Mit freundlichem Gruß und Dank…«An <strong>den</strong> Rand hatte er geschrieben: »Zu De<strong>in</strong>er Information: Leider ist diekirchliche Feier am 20.12. immer noch nicht durch.«Am 19. November trafen wir uns also zu e<strong>in</strong>em Mittagessen im Jagdzimmerder Bezirksleitung der SED <strong>in</strong> Neubran<strong>den</strong>burg. Dort saßen wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emengen, überheizten, mit Jagdtrophäen vollgestopften Raum. Außer HerrnGöck war noch e<strong>in</strong> Vertreter des Kreises dabei. Bei dieser Gelegenheit ergriffDetlef Schwer<strong>in</strong> <strong>das</strong> Wort zu e<strong>in</strong>er vorbereiteten Rede, <strong>in</strong> der er noch e<strong>in</strong>malausführlich darstellte, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong> Vater und viele andere Offiziere im »<strong>Widerstand</strong>skreis20. Juli« nicht erst nach Stal<strong>in</strong>grad, sondern schon viel früher mitihrer Konspiration <strong>gegen</strong> Hitler begonnen hatten. Der reservierte, aber höflicheHerr Göck hörte schweigend zu. Er muss jedoch von <strong>den</strong> Ausführungen se<strong>in</strong>esGastes bee<strong>in</strong>druckt gewesen se<strong>in</strong>, <strong>den</strong>n auf dem Weg von Neubran<strong>den</strong>burgbis nach Göhren arbeitete er diese H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Rede e<strong>in</strong>.Im Schlosspark waren die E<strong>in</strong>wohner des Dorfes, e<strong>in</strong>e Pioniergruppe, e<strong>in</strong>eFDJ-Gruppe und e<strong>in</strong> Blasorchester schon versammelt. Nach der Rede vonHerrn Göck wur<strong>den</strong> Kränze an dem aufgestellten großen F<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>g mit derBronze-Tafel niedergelegt. Anschließend wur<strong>den</strong> wir noch zu e<strong>in</strong>em Kaffee<strong>in</strong> die Dorfkneipe, <strong>in</strong>s ehemalige Kutscherhaus, e<strong>in</strong>gela<strong>den</strong>. Der Raum warextra für diese Gelegenheit geheizt wor<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n die Dorfkneipe war schonseit e<strong>in</strong>igen Jahren geschlossen. Die Atmosphäre war dementsprechend heißund feucht. Irgendwoher hatten sie Geschirr, Besteck, Kaffee und Kuchenorganisiert. Die Funktionäre der Partei und der Kreisverwaltung kamen <strong>in</strong>sGespräch mit dem Sohn des Grafen. Er fragte sie nach <strong>den</strong> Ernteerträgen,nach <strong>den</strong> Wohnverhältnissen der LPG-Mitarbeiter. Mich beschlich dabei e<strong>in</strong>seltsames Gefühl. Vielleicht war es dieser Eifer, die servile Art dieser Funktionäre(nicht von Herrn Göck, der sich daran nicht beteiligte), wie sie dem»Grafen« Bericht erstatteten, so als ob er immer noch der Eigentümer sei, demsie Rechenschaft schuldeten.Das war nur e<strong>in</strong>e kurze Anwandlung. Das Gefühl verstärkte sich jedoch währendder kirchlichen Ge<strong>den</strong>kfeier, die doch noch rechtzeitig am 20. Dezemberstattf<strong>in</strong><strong>den</strong> konnte, weil die Tafel kurz vorher noch genehmigt wor<strong>den</strong> war.Wir reisten also wieder an. Diesmal waren die schwarzen Stasi-Autos überallr<strong>in</strong>gs um <strong>das</strong> Gelände platziert. Vor der Kirche stan<strong>den</strong> die schönen großenWestautos der Familienmitglieder. Die Dorfbewohner drängten sich <strong>in</strong> der129
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