IV. E<strong>in</strong>zelschicksale aus demregionalen <strong>Widerstand</strong>Achim von Borries, BremenDas Ehepaar LachmundEs ist im H<strong>in</strong>blick auf dieses ema zunächst von e<strong>in</strong>er »Entdeckung« zusprechen; e<strong>in</strong>er »Entdeckung« nicht allerneuesten Datums, aber doch kaummehr als e<strong>in</strong> Jahrzehnt alt. 1993 erschien <strong>in</strong> Hamburg e<strong>in</strong>e umfangreicheStudie »Liberale im <strong>Widerstand</strong> – Die Rob<strong>in</strong>sohn-Strassmann-Gruppe 1934-1942«. Auf der Grundlage mehrjähriger Quellenforschung und zahlreicherpersönlicher Gespräche konnte der Autor, Horst Sass<strong>in</strong>, erstmals e<strong>in</strong> umfassendesBild e<strong>in</strong>er liberalen <strong>Widerstand</strong>sgruppe geben, die bis dah<strong>in</strong> so gut wieunbekannt geblieben war, mit Ausnahme e<strong>in</strong>es Beitrags von Wolfgang Benz<strong>in</strong> <strong>den</strong> »Vierteljahresheften für Zeitgeschichte« 1981. 222 Die »Entdeckung«dieser Gruppe schloss e<strong>in</strong>e Lücke im breiten Spektrum der <strong>Widerstand</strong>sforschung.Man hatte sich seit langem mit sozialistischem, kommunistischem,konservativem, christlichem <strong>Widerstand</strong> beschäftigt. Die Arbeit von Sass<strong>in</strong>rückte nun auch <strong>den</strong> <strong>Widerstand</strong> liberaler Demokraten <strong>in</strong>s Blickfeld. Die»Rob<strong>in</strong>sohn-Strassmann-Gruppe« war »die e<strong>in</strong>zige reichsweit angelegte liberaldemokratische<strong>Widerstand</strong>sgruppe von Dauer.« 223Das genannte Buch gibt auch wichtige Aufschlüsse über <strong>das</strong> Ehepaar Lachmund,<strong>das</strong> dieser Gruppe seit 1934 angehörte, ohne <strong>das</strong>s sich se<strong>in</strong> Engagementim <strong>Widerstand</strong> darauf beschränkt hätte. »Das Ehepaar Lachmund«: Das warenHans und Margarethe Lachmund, zwei starke eigenständige Persönlichkeiten,seit 1921 über e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ges<strong>in</strong>nungs- und Vertrauensgeme<strong>in</strong>schaftverbun<strong>den</strong>, die sich vor allem <strong>in</strong> <strong>den</strong> Jahren des Hitlerreiches,aber auch, unter ganz neuen Umstän<strong>den</strong>, im ersten Nachkriegsjahrzehntbewähren sollte.Hans Lachmund (1892-1972), Sohn e<strong>in</strong>es Schwer<strong>in</strong>er Gymnasialprofessors,im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, hatte sich nach dem Jurastudium <strong>in</strong>222Siehe Wolfgang Benz, E<strong>in</strong>e liberale <strong>Widerstand</strong>sgruppe und ihre Ziele. Hans Rob<strong>in</strong>sohnsDenkschrift aus dem Jahre 1939. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 3, 1981, S.437ff.223Horst R. Sass<strong>in</strong>, <strong>in</strong>: Lexikon des deutschen <strong>Widerstand</strong>s. Herausgegeben von Wolfgang Benzund Walter H. Pehle, Frankfurt a.M. 1994, S. 306.82
se<strong>in</strong>er Geburtsstadt als Rechtsanwalt niedergelassen. Der überzeugte Republikanerwurde bereits 1919 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei,deren Vorsitzender <strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong> er von 1925 bis 1929 war, und bald darauf auchder Deutschen Frie<strong>den</strong>sgesellschaft. Mit se<strong>in</strong>er Aktivität als Freimaurer warenzahlreiche Auslandskontakte, vor allem nach Frankreich, verbun<strong>den</strong>, die ihnnach 1933 <strong>den</strong> Nazis besonders »verdächtig« machten. 1929 als Oberjustizrat<strong>in</strong> <strong>das</strong> <strong>Mecklenburg</strong>ische Justizm<strong>in</strong>isterium berufen, trat Lachmund zwei Jahrespäter aus Enttäuschung über die Halbherzigkeit der Demokratischen Partei(jetzt: Deutsche Staatspartei) <strong>gegen</strong>über der allgeme<strong>in</strong>en Rechtsentwicklungzur SPD über.Margarethe Lachmund (1896-1985), <strong>in</strong> Wanzka, nahe Neustrelitz, geboren,e<strong>in</strong>er Pastorenfamilie entstammend, war nach dem Kriege zunächst Hauslehrer<strong>in</strong>auf dem Bernstorffschen Gute We<strong>den</strong>dorf gewesen. Nach kurzerMitgliedschaft <strong>in</strong> der Deutschnationalen Volkspartei, auf deren christlichsozialemFlügel, trat sie noch vor ihrem Mann <strong>in</strong> die SPD e<strong>in</strong>. Sie hat diesen<strong>in</strong> <strong>den</strong> 20er Jahren »l<strong>in</strong>ks überholt« und nach l<strong>in</strong>ks mitgezogen, berichtetihr Sohn Peter Lachmund. Wegweisend für ihr weiteres Leben wurde dieBegegnung mit englischen Quäkern, deren dogmenloses, tätiges, konsequentgewaltfreies Christentum sie tief bee<strong>in</strong>druckte und Mitglied der »ReligiösenGesellschaft der Freunde« wer<strong>den</strong> ließ. Dieser Zugehörigkeit zur <strong>in</strong>ternationalenQuäkergeme<strong>in</strong>schaft verdankte sie e<strong>in</strong>e Weltoffenheit, die <strong>in</strong> <strong>den</strong> Jahren des<strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong>s besonders wichtig wurde.So hatten Hans und Margarethe Lachmund frühzeitig feste moralische undpolitische Überzeugungen. Ihnen blieben sie auch nach der nationalsozialistischen»Machtergreifung« treu, immun <strong>gegen</strong> die nationalen Suggestionen undIllusionen, die Selbsttäuschungen und Anpassungen <strong>in</strong> ihrem bürgerlichenUmfeld seit 1933.Solche Ges<strong>in</strong>nungsgegnerschaft der ersten Stunde war freilich noch nicht<strong>Widerstand</strong>. Margarethe Lachmund berichtete, sie hätten sich damals immerwieder gefragt: »Was bedeutet es, jetzt als Christ zu leben?« Den Gedanken anEmigration verwarfen sie, weil ihnen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Opposition <strong>gegen</strong> <strong>das</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong> notwendig erschien. Doch es gab auch die Versuchung des Rückzugs<strong>in</strong> e<strong>in</strong> mehr oder weniger risikoloses ges<strong>in</strong>nungstreues Privatchristentum. AlsMargarethe Lachmund 1937 an der Weltkonferenz der Quäker <strong>in</strong> <strong>den</strong> USAteilnahm, wurde ihr diese »<strong>in</strong>nere Gefahr« klar, <strong>in</strong> der die deutschen Quäker»wie viele andere Anti-Nazis <strong>in</strong> Deutschland damals stan<strong>den</strong>, wenn wir unsdanach sehnten und immer wieder der Versuchung erlagen, Zuflucht <strong>in</strong> <strong>in</strong>nererEmigration zu suchen, um uns selber durch dies Zurückziehen aus allem83
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