H<strong>in</strong>ter <strong>den</strong> Frauen und Männern des 20. Juli 1944 stehen viele Menschen,die dem <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong> widerstan<strong>den</strong> haben, ohne <strong>das</strong>s ihre Namen überregionalbekannt gewor<strong>den</strong> s<strong>in</strong>d. Sie haben sich aus politischer Überzeugung, aus religiöserMotivation, aus humanitären Grün<strong>den</strong> bzw. nach konkreten Erfahrungen mitdem nationalsozialistischen Verfolgungsapparat dem menschenverachten<strong>den</strong>Gewaltregime widersetzt und sich <strong>gegen</strong> staatliches Unrecht aufgelehnt. Undsie haben sich nicht erst <strong>in</strong> <strong>den</strong> letzten Kriegsjahren gewehrt. E<strong>in</strong>ige von ihnenhaben bereits vor dem 30. Januar 1933 vor der <strong>NS</strong>DAP gewarnt. Andereerkannten erst später die Gefahr, die von dem <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong> ausg<strong>in</strong>g. Allen geme<strong>in</strong>samist jedoch e<strong>in</strong>e Gewissensentscheidung. Diese war die Voraussetzungfür die Bereitschaft, die gelten<strong>den</strong> Gesetze zu überschreiten. Die Bandbreitereicht hier von passiver Gehorsamsverweigerung bis h<strong>in</strong> zum Attentat.Nur e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit durchlief <strong>den</strong> schwierigen Weg vom <strong>Regime</strong>-Gegnerzum <strong>Widerstand</strong>skämpfer. Nur wenige traten aus der Masse heraus. Der Grundzugder Geschichte der deutschen Gesellschaft <strong>in</strong> der Zeit des Dritten Reichsbleibt die breite Anpassung aus Furcht und Bequemlichkeit, aus Passivitätund Karriere<strong>den</strong>ken, nicht zuletzt aus partieller <strong>in</strong>nerer Übere<strong>in</strong>stimmungmit außen-, <strong>in</strong>nen- oder gar rassenpolitischen Zielen der Nationalsozialisten.Erst vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser breiten Anpassung an <strong>das</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong> wird<strong>Widerstand</strong> zum Zeichen des Mutes aus politischer Gegnerschaft, aus christlicherMitmenschlichkeit oder aus moralischem Anstandsgefühl.Die Geschichte des <strong>Widerstand</strong>s <strong>in</strong> <strong>Mecklenburg</strong> und Pommern ist damitke<strong>in</strong>e Hel<strong>den</strong>geschichte, sondern zunächst e<strong>in</strong>e Geschichte der partiellen Resistenz– oft <strong>in</strong> Bereichen, welche <strong>das</strong> <strong>Regime</strong> vergleichsweise als nebensächliche<strong>in</strong>schätzte und die <strong>den</strong>noch im Laufe der folgen<strong>den</strong> Jahre als Startpunkte<strong>in</strong>es zunehmend prägnanter argumentieren<strong>den</strong> und schließlich handeln<strong>den</strong><strong>Widerstand</strong>s wichtig wur<strong>den</strong>. Es gelang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen mecklenburgischen undpommerschen Städten, unentdeckt kle<strong>in</strong>e Gruppen zu bil<strong>den</strong>. Sie taten sichauf der Grundlage geme<strong>in</strong>samer Interessen, persönlicher und verwandtschaftlicherBeziehungen zusammen und organisierten <strong>den</strong> <strong>Widerstand</strong>. Zu betonenist aber: Weder <strong>Mecklenburg</strong> noch Pommern gehören zu <strong>den</strong> Zentren des<strong>Widerstand</strong>s <strong>gegen</strong> die <strong>NS</strong>-Diktatur. Zwischen 1933 und 1945 gab es ke<strong>in</strong>ebreite <strong>Widerstand</strong>sbewegung, deren Geschichte man schreiben könnte. OppositionelleTätigkeit – angefangen vom Kleben regime-fe<strong>in</strong>dlicher Plakateüber die Herstellung von Flugblättern bis h<strong>in</strong> zur Arbeit an Plänen für e<strong>in</strong>enStaatsstreich – war immer nur die Sache von Individuen, die eventuell – imSchutz der städtischen Anonymität – kle<strong>in</strong>e Gruppen bildeten und sich aufder Grundlage geme<strong>in</strong>samer Interessen, persönlicher und verwandtschaftlicher20
Beziehungen zusammentaten und <strong>Widerstand</strong> organisierten.Die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en effektiven <strong>Widerstand</strong> <strong>gegen</strong> <strong>das</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong>waren <strong>in</strong> <strong>den</strong> dünn besiedelten, traditionell konservativen Agrarregionen <strong>Mecklenburg</strong>-Schwer<strong>in</strong>,<strong>Mecklenburg</strong>-Strelitz und Pommern schlecht. 32 Folglichwaren Möglichkeiten und Grenzen des <strong>Widerstand</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von Dörfernund Landstädten geprägten Region anders beschaffen als <strong>in</strong> <strong>in</strong>dustriellenBallungszentren und Großstädten. So ärgerte sich der mecklenburgischeSozialdemokrat Albert Schulz über die naiven Vorstellungen des nach Pragemigrierten SPD-Parteivorstands von der Arbeit <strong>in</strong> der Illegalität: »Bei e<strong>in</strong>erder nachfolgen<strong>den</strong> Besprechungen im kle<strong>in</strong>en Kreis hielten e<strong>in</strong>ige Genossene<strong>in</strong>e illegale Arbeit der Partei, im Gegensatz zu Willi Jesse und mir, für sehrleicht. Wir kamen aus e<strong>in</strong>em Agrarland. In <strong>den</strong> kle<strong>in</strong>en Orten waren nichtnur unsere Genossen der ganzen Bevölkerung bekannt. Jeder Fremde, der <strong>in</strong><strong>den</strong> Ort kam, wurde sofort als Fremder erkannt und, soweit er zu e<strong>in</strong>em Genosseng<strong>in</strong>g, beargwöhnt. Verb<strong>in</strong>dung und Versand durch die Post war nichtmöglich, da fast allen bekannten Genossen die Post beschlagnahmt und überdie Polizei ausgeliefert wurde. Trotzdem stimmten wir zu, uns am Vertriebvon aus Prag kommen<strong>den</strong> Materials <strong>in</strong> <strong>den</strong> wenigen großen Städten unseresLandes zu beteiligen.« 33Und auch wenn sich <strong>Widerstand</strong>s-Gruppen bildeten und zeitweilig untere<strong>in</strong>anderkooperierten, entstand damit noch ke<strong>in</strong>e Kraft, die man als e<strong>in</strong>e breite<strong>Widerstand</strong>sbewegung hätte bezeichnen können. Dies ist vor allem auf <strong>den</strong>von <strong>den</strong> Nationalsozialisten von Anfang an ausgeübten Terror zurückzuführen.Seit dem 30. Januar 1933 schufen die Nationalsozialisten systematisch Organezur Ausübung ihrer Gewaltherrschaft, die außerhalb von Recht und Gesetzagierten und sowohl existierende als auch entstehende Gegenkräfte zerschlugen.Somit war jeder noch unentdeckt gebliebene oppositionelle Zirkel zusolcher Vorsicht gezwungen, <strong>das</strong>s er im Pr<strong>in</strong>zip überhaupt nicht mehr agierenkonnte. E<strong>in</strong> zweiter Grund für <strong>das</strong> Fehlen e<strong>in</strong>es »Volkswiderstands« mag auch<strong>in</strong> der Tatsache zu suchen se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s es Hitler und der <strong>NS</strong>DAP gelungen war,e<strong>in</strong>en beträchtlichen Teil der Deutschen von ihrer Politik zu überzeugen, dieübrigen zum<strong>in</strong>dest partiell zu gew<strong>in</strong>nen und damit politisch zu neutralisie-32Zu diesem Urteil kommt auch Karl He<strong>in</strong>z Jahnke. Jahnke, Karl He<strong>in</strong>z: Gegen Hitler. Gegnerund Verfolgte des <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong>s <strong>in</strong> <strong>Mecklenburg</strong> 1933-1945, 2. überarb. u. erw. Aufl., Rostock2000, S. 18.33Müller, Werner/Mrotzek, Fred/Köllner, Johannes: Die Geschichte der SPD <strong>in</strong> <strong>Mecklenburg</strong>und Vorpommern, Bonn 2002, S. 160.21
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