zählen<strong>den</strong> Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> ihren Verkündigungsdienst im Untergrund fort. 65 Vonder Verweigerungshaltung der »Ernsten Bibelforscher«, wie sie sich damalsnannten, zeugten auch <strong>in</strong> <strong>Mecklenburg</strong> etliche Sondergerichtsverhandlungen.Bis Januar 1939 fan<strong>den</strong> <strong>in</strong>sgesamt neun Gruppenprozesse statt, die mit 57Verurteilungen endeten. 66 Verhandlungsort war nicht immer zwangsläufig<strong>das</strong> Schwer<strong>in</strong>er Landgerichtsgebäude. Die meisten Prozesse fan<strong>den</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emGerichtssaal <strong>in</strong> der Nähe des Wohnortes der Angeklagten statt. So verhandelte<strong>das</strong> Sondergericht im Februar 1937 <strong>in</strong> Bad Doberan <strong>gegen</strong> zwölf 67 , <strong>in</strong> Wismar<strong>gegen</strong> acht 68 , <strong>in</strong> Parchim <strong>gegen</strong> 14 69 , <strong>in</strong> Waren <strong>gegen</strong> elf 70 und <strong>in</strong> Güstrow<strong>gegen</strong> acht Personen 71 .Sämtlichen Angeklagten wurde vorgeworfen, trotz Verbots e<strong>in</strong>e über <strong>das</strong>ganze Land verteilte feste Organisation aufrecht erhalten sowie Schriften,Bücher und Flugblätter der Internationalen Bibelforschervere<strong>in</strong>igung angenommen,gelesen und weiterverbreitet zu haben. In <strong>den</strong> Urteilsbegründungenberief sich <strong>das</strong> Gericht daher nicht auf die »Heimtücke-«, sondern die zuvorerlassene »Reichstagsbrandverordnung«, auf deren Grundlage wesentliche Beschränkungender persönlichen Freiheit für verb<strong>in</strong>dlich erklärt und Verstöße<strong>gegen</strong> Zuwiderhandlungen behördlicher Anordnungen mit Gefängnisstrafenbedroht wur<strong>den</strong>.Nach der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe erwartete viele der zur Entlassungkommen<strong>den</strong> Zeugen Jehovas häufig <strong>das</strong>selbe Schicksal wie die politischenHäftl<strong>in</strong>ge: Sobald sie die Gefängnismauern verließen, wur<strong>den</strong> sie von derGestapo auf unbestimmte Zeit <strong>in</strong> Schutzhaft genommen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslagergesteckt.Gerichtsverfahren <strong>gegen</strong> Angehörige der verbotenen Arbeiterparteien, <strong>in</strong>sbesondere<strong>gegen</strong> Mitglieder der KPD, landeten <strong>in</strong> <strong>Mecklenburg</strong> – anders als65Siehe Benz, Wolfgang: Kirchen – Selbstbehauptung und Opposition, <strong>in</strong>: Deutscher <strong>Widerstand</strong>1933-1945 (= Informationen zur politischen Bildung Nr. 243/1994), S. 21.66Siehe Schreiben des Schwer<strong>in</strong>er Landgerichtspräsi<strong>den</strong>ten an <strong>den</strong> Oberlandesgerichtspräsi<strong>den</strong>tenvom 21. Januar 1939, <strong>in</strong>: LHAS 6.12.-6/4/368, Bl. 33. (Laut brieflicher Auskunftvom 28.04.2004 hat Falk Bersch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Untersuchungen für die gesamte <strong>NS</strong>-Zeit zwölfSondergerichtsverfahren mit 83 namentlich Angeklagten ermittelt.)67Siehe Anklage vom 18. Januar 1937, <strong>in</strong>: LHAS, 5.12-6/9P/910: Haftakte Fisch, Franz, o.Bl.68Siehe Urteil vom 3. Februar 1937, ebenda, 5.12-6/9P/2231: Haftakte Ks<strong>in</strong>zyk, Karl, o.Bl.69Siehe Urteil vom 16. Februar 1937, ebenda, 5.12-6/9P/919: Haftakte Fischer, Robert, o.Bl.70Siehe Urteil vom 18. Februar 1937, ebenda, 5.12-6/9P/1405: Haftakte He<strong>in</strong>sius, Bertha,o.Bl.71Siehe Urteil vom 19. Februar 1937, ebenda, 5.12-6/9P/2282: Haftakte Lange, Wilhelm, o.Bl.32
<strong>in</strong> vielen Großstädten 72 – nur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen vor dem Sondergericht. Soferndie Angeklagten ihren organisierten <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> der Illegalität fortgesetzthatten, wur<strong>den</strong> sie der »Vorbereitung zum Hochverrat« beschuldigt. DieserTatbestand stellte e<strong>in</strong> Kapitalverbrechen dar, <strong>das</strong> vor e<strong>in</strong>er höheren Instanzverhandelt wer<strong>den</strong> musste. Sofern die Täter <strong>Mecklenburg</strong>er waren, erfolgteihre Aburteilung im Regelfall vor dem politischen Strafsenat des HanseatischenOberlandesgerichts Hamburg, der zu diesem Zweck se<strong>in</strong>e Gerichtstage <strong>in</strong> <strong>den</strong>Oberlandesgerichtsbezirk Rostock verlagerte. In <strong>den</strong> meisten Hochverratsprozessenstan<strong>den</strong> ganze <strong>Widerstand</strong>sgruppen vor Gericht.Die Zuständigkeit des Sondergerichts war da<strong>gegen</strong> meist <strong>in</strong> solchen E<strong>in</strong>zelfällengegeben, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en Oppositionelle ihre ablehnende Haltung verbal zumAusdruck gebracht hatten. So hatte sich im November 1933 e<strong>in</strong> ehemaligerSeemann aus Holten wegen Verleumdung der SA zu verantworten. Das frühereKPD-Mitglied hatte während e<strong>in</strong>er polizeilichen Befragung zugegeben, dieRöhm-Truppe für <strong>den</strong> Reichstagsbrand verantwortlich gemacht zu haben.H<strong>in</strong>zufügend hatte er erklärt, noch immer Kommunist zu se<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>eGes<strong>in</strong>nung auch künftig beizubehalten. Dieses Bekenntnis büßte er mit dreiMonaten Haft. 73 Ähnlich mutig bekannten sich auch andere Angeklagte, dienicht dem l<strong>in</strong>ken Spektrum entstammten, zu ihren politischen und weltanschaulichenGrundüberzeugungen.In die Hoheit der Sondergerichtsbarkeit fielen auch Fälle von Selbstbehauptungund Gegenwehr der verfolgten Ju<strong>den</strong>. Bereits im Mai 1933 stand die Lehrer<strong>in</strong>Luise Bauer aus Vipperow vor Gericht. 74 Der so genannten »Halbjüd<strong>in</strong>«wurde zur Last gelegt, »kommunistische Gräuellügen« verbreitet zu haben.Die Angeklagte hatte als Augenzeug<strong>in</strong> über gewaltsame Übergriffe <strong>gegen</strong> Ju<strong>den</strong>berichtet, die sie während e<strong>in</strong>es Besuchs <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> erlebt hatte. Da dieStaatsanwaltschaft ihre Schilderungen als »Märchen« abtat, durch die »ke<strong>in</strong>größerer Scha<strong>den</strong>« entstan<strong>den</strong> sei, verwarnte sie <strong>das</strong> Gericht nur mit e<strong>in</strong>erGeldstrafe von 30 Reichsmark aushilflich sechs Tagen Haft.Über die skizzierten Fallgruppen h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d aus der Schwer<strong>in</strong>er Sondergerichtspraxisnicht wenige Beispiele bekannt, die von der juristischen Bekämpfungabtrünniger <strong>NS</strong>-Gefolgsleute zeugen. Im Ergebnis e<strong>in</strong>es derartigen Verfahrenswur<strong>den</strong> 1936 der <strong>in</strong> Rostock niedergelassene Arzt Dr. eodor Ruhnstruck72Vgl. Bästle<strong>in</strong>, Klaus: Sondergerichte <strong>in</strong> Norddeutschland als Verfolgungs<strong>in</strong>stanz, <strong>in</strong>: Bajohr,Frank (Hrsg.): Norddeutschland im Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 212.73Siehe OB, nr. 272 vom 21. November 1933.74Siehe NB, Nr. 119 vom 23. Mai 1933.33
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