3. <strong>Widerstand</strong> im AlltagBei der großen Übere<strong>in</strong>stimmung des deutschen Volkes mit dem <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong>entsteht die Frage, wie deren Gegner im und zugleich <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> braunenStrom, im Spannungsfeld von Anpassung, Resistenz und <strong>Widerstand</strong> lebten.Häufig waren es zunächst Freundeskreise, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en <strong>Regime</strong>-Gegner zusammenfan<strong>den</strong>.Daraus entstan<strong>den</strong> Ges<strong>in</strong>nungsgeme<strong>in</strong>schaften und später auch<strong>Widerstand</strong>sgruppen. He<strong>in</strong>rich Scheel und andere beschreiben <strong>das</strong> Entstehenvon wechselvollen persönlichen und politischen Freundschaften undunterschiedliche zeitliche Phasen von Gegnerschaft und Aktionen. 25 DerZusammenhalt hatte <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Freizeit se<strong>in</strong>en Alltag. Nicht alleGeme<strong>in</strong>samkeiten und Interaktionen waren verkappte widerständige Tarnformen.E<strong>in</strong> freundschaftliches Mite<strong>in</strong>ander be<strong>in</strong>haltete geme<strong>in</strong>same, auchdem <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong> ent<strong>gegen</strong>gesetzte Interessen. In <strong>den</strong> Freundeskreisen entstande<strong>in</strong> nazifreier Raum, auch wenn nicht alle Beteiligten die freundschaftlichenBegegnungen bereits als e<strong>in</strong>en politischen Zusammenschluss ansahen. DerRomanist Werner Krauss, der 1940 bei e<strong>in</strong>em Freund e<strong>in</strong>en solchen Zirkeljunger Abendschüler kennen gelernt hatte, umschreibt diesen Kreis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emsatirischen Roman als »Bund für unentwegte Lebensfreude« und <strong>den</strong> <strong>in</strong>nerenKreis als »Katakombengesellschaft«. 26Nazi-Gegner erkannten e<strong>in</strong>ander, kamen mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>s Gespräch. Dawurde e<strong>in</strong>e andere Sprache, e<strong>in</strong> anderer Ton angeschlagen. <strong>Widerstand</strong> undResistenz g<strong>in</strong>gen bisweilen e<strong>in</strong>e Symbiose e<strong>in</strong>, führten zur Immunisierung<strong>gegen</strong> die <strong>NS</strong>-Ideologie, <strong>gegen</strong> die Vere<strong>in</strong>nahmung durch <strong>den</strong> Staat undse<strong>in</strong>e Organisationen. Menschen bewahrten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weltanschaulichenDissens ihren humanistischen Lebensanspruch, behaupteten Anstand undMenschenwürde, stellten sich der Menschenverachtung ent<strong>gegen</strong> und halfenBedrohten sowie Verfolgten. Hieraus entstan<strong>den</strong> Freundschaften und auchKonfliktfelder zum <strong>NS</strong>-Staat und se<strong>in</strong>en Institutionen. 27 Nicht jedes nicht-25He<strong>in</strong>rich Scheel, Vor <strong>den</strong> Schranken des Reichskriegsgerichts. Me<strong>in</strong> Weg <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Widerstand</strong>,Berl<strong>in</strong> 1993; Reg<strong>in</strong>a Scheer, Im Schatten der Sterne. E<strong>in</strong>e jüdische <strong>Widerstand</strong>sgruppe. AufbauVerlag, Berl<strong>in</strong> 2004.26Werner Krauss, PLN. Die Passionen der halykonischen Seele, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1946. Sieheauch Elisabeth Fillmann, Realsatire und Lebensbewältigung. Studien zu Entstehung und Leistungvon Werner Krauss’ antifaschistischem Roman »PLN. Die Passionen der halykonischenSeele«, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1996.27Mart<strong>in</strong> Broszat, Resistenz und <strong>Widerstand</strong>. E<strong>in</strong>e Zwischenbilanz des Forschungsprojekts, <strong>in</strong>:Bayern <strong>in</strong> der <strong>NS</strong>-Zeit. Band IV. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil C, hrsg. vonMart<strong>in</strong> Broszat, Elke Fröhlich und Anton Grossmann, München und Wien 1981.14
konforme Verhalten bzw. nicht jede Form von Selbstbehauptung waren jedochbereits schon e<strong>in</strong>e Form von <strong>Widerstand</strong> <strong>gegen</strong> <strong>das</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Regime</strong>, konntenjedoch durch die Reaktion des Staates zu e<strong>in</strong>em Anlass der Verfolgung wer<strong>den</strong>.Es bildeten sich <strong>in</strong>formelle Ges<strong>in</strong>nungsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong> Sportorganisationen,<strong>in</strong> Sängerbün<strong>den</strong> und <strong>in</strong> anderen Zusammenhängen. Untersuchungen zum<strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> Magdeburg zeigen, wie Sozialdemokraten e<strong>in</strong>e demokratischeSubkultur eigener Lebensart entwickelten, die e<strong>in</strong>en politischen und kulturellenZusammenhalt ermöglichte. 28 Hier entstand e<strong>in</strong>e der Öffentlichkeit weitgehendverborgene, manchmal als solche nicht wahrgenommene subversive Kulturund gelegentlich e<strong>in</strong>e von Jugendlichen habituell auch öffentlich geäußerteProtestkultur. 29 Unter <strong>den</strong> Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er gleichgeschalteten Presse undÖffentlichkeit wurde der <strong>in</strong>s überschaubare Private zurückgenommene Me<strong>in</strong>ungsaustauschzum entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Kommunikationsmittel. AusländischeSender wur<strong>den</strong> abgehört, illegale Literatur, Flugblätter und Positionspapierezirkulierten. Die <strong>Regime</strong>-Gegner trugen die eigene Unruhe nach außen, durchbrachen<strong>das</strong> Schweigen und machten für e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Öffentlichkeit sichtbar,<strong>das</strong>s die Gegner im Inneren noch da und wieder aktiv s<strong>in</strong>d.Freundeskreise bildeten e<strong>in</strong> Refugium, <strong>in</strong> dem auch Spannungen ausgetragenund selbst persönliche Krisen ausgehalten wer<strong>den</strong> konnten, ohne <strong>den</strong> Zusammenhalt<strong>in</strong> Frage zu stellen. Vertrauen und Verlässlichkeit, Hilfe füre<strong>in</strong>anderund für andere prägten die Zusammenkünfte. Es wurde geredet, gesungen,gelacht, Angst, Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> und Misstrauen überwun<strong>den</strong>. Geme<strong>in</strong>schafts- undBegegnungsformen aus der Weimarer Republik lebten weiter. Dies alles warennicht nur Formen der Tarnung, sondern auch der Versuch, eigenes Leben<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bedrohten Welt zu gestalten. Frauen gehörten selbstverständlich zudiesen Kreisen dazu. 30Als wir 1994 die Ausstellung über die Rote Kapelle 31 vorbereiteten,konnten wir auf viele Schilderungen und Fotos von Wochenendausflügenzurückgreifen. Vom »Camp<strong>in</strong>g im <strong>Widerstand</strong>« g<strong>in</strong>g Ermutigung aus, auch28Beatrix Herlemann, »Wir s<strong>in</strong>d geblieben, was wir immer waren: Sozialdemokraten«. Sozialdemokratisches<strong>Widerstand</strong>s- und Überlebensverhalten 1932 bis 1945, <strong>in</strong>: Detlef Schmiechen-Ackermann. Siehe Fußnote 25.29Arno Klönne, Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner, Düsseldorf 1984.30Frauen <strong>gegen</strong> die Diktatur – <strong>Widerstand</strong> und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland,hrsg. von Christel Wickert, Berl<strong>in</strong> 1995; Marlis Coburger: Die Frauen der Roten Kapelle,<strong>in</strong>: Rote Kapelle im <strong>Widerstand</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> Nationalsozialismus, hrsg. von Hans Coppi, JürgenDanyel und Johannes Tuchel, Berl<strong>in</strong> 1994; Frauen und <strong>Widerstand</strong>, hrsg. von Jana Leichsenr<strong>in</strong>g,Münster 2003.15
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