Holger Michael • VOM BALTIKUM NACH KLEINASIEN

15. Tag des Sieges in Kasachstan
Zu meinen schönsten Eindrücken gehört der Tag des
Sieges über den Faschismus. Schon im Vorfeld und erst
an jenem Tag selbst hatte man das Gefühl, wieder in der
Sowjetunion zu sein. Da der 9. Mai offizieller Feiertag ist,
gab es an diesem Tag keine Schule. In allen Schulen des
Landes hingegen wurde am Vortag von Lehrern, Schülern
und Kriegsveteranen feierlich jenes großen Sieges gedacht.
Ich habe diesen Feiertag in Kasachstan zweimal miterlebt,
war davon sehr ergriffen und den Tränen nahe. Unter der
bewährten Leitung unserer kasachischen Geschichtslehrerin,
die als mitreisende Ehefrau eines Sowjetoffiziers Jahre
in der DDR verbracht hatte, wurde die Festveranstaltung
eröffnet. Vorher wurde ein Umzug durch das Wohngebiet
gemacht, wo mit selbst gefertigten Plakaten und Transparenten
die Friedensliebe der kasachstanischen Schüler
bekundet wurde.
An der Tribüne hatten sich mithilfe von ausgesuchten
Schülern Kriegsveteranen niedergelassen. Es war
bedrückend, feststellen zu müssen, dass jedes Mal weniger
von ihnen anwesend sein konnten. In jedem Jahr
starb etwa ein Drittel derer, die beim letzten Mal noch
anwesend gewesen waren. Und den jetzt Anwesenden war
anzusehen, dass auch sie in Bälde damit rechneten zu sterben,
und so wurde dieser feierliche Appell womöglich ihr
letzter offizieller Auftritt. Dem war auch die Veranstaltung
angepasst.
Nachdem die Schuldirektorin, eine Koreanerin,
den hohen persönlichen Einsatz jener alten Männer und
Frauen und die Bedeutung jenes Sieges gewürdigt hatte,
verbeugte sie sich tief vor ihnen. Dann folgten Lieder,
Rezitationen, Tänze und ein Vorbeimarsch einer uni-