Kunstbulletin Juni 2021
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
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Kunst der Vorzeit — Felsbilder der Frobenius-Expeditionen<br />
Rund 120 teils überdimensionale Abzeichnungen von Felsbildern<br />
gewähren einen Blick auf die menschliche Gestaltungskraft<br />
und verändern unser Bild von prähistorischer Kultur. Ihren<br />
bedeutenden Einfluss auf die Avantgarde belegt die Ausstellung<br />
mit Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee.<br />
Zürich — Überwältigt steht man vor den gigantischen, meist erdfarbenen Felsbildkopien.<br />
Wir erkennen Prozessionen, Jagd- oder Herdenszenen, Büffel, Giraffen, Elefanten,<br />
tanzende, schwebende oder schwimmende Menschen sowie rätselhafte,<br />
abstrakte Konfigurationen. Manche Darstellungen sind auf Silhouetten oder «Strichmännchen»<br />
reduziert, andere zeigen mythische, maskierte Wesen.<br />
Fotografien aus dem Frankfurter Frobenius-Institut zeigen mehrheitlich Malerinnen<br />
auf schwindelerregend hohen Leitern in Felswänden, die unter schwierigsten<br />
Bedingungen versuchen, Fels- und Höhlenmalereien aus vierzig Jahrtausenden möglichst<br />
originalgetreu zu kopieren.Sie waren vom bekanntesten deutschen Ethnologen<br />
seiner Zeit, Leo Frobenius (1873–1938), engagiert und begleiteten diesen zwischen<br />
1913 und 1937 auf seinen zahlreichen Expeditionen. Frobenius hat die Felsbilder der<br />
Sahara, des südlichen Afrika, Australiens und Neuguineas, zudem aus Spanien, Südfrankreich,<br />
Italien und Skandinavien erstmalig dokumentiert und bekannt gemacht<br />
und die weltweit bedeutendste Sammlung dieser Kopien angelegt.<br />
Die australische Felskunst ist die älteste der Welt. Zugleich leben die dargestellten<br />
vorzeitlichen Wesen in der Vorstellung der indigenen Bevölkerung bis heute<br />
weiter. So insbesondere im Kimberley, dem Gebiet der Aborigines-Gemeinschaft<br />
Wanjina Wunggur. In der Ausstellung wird in einem Film gezeigt, wie eine Gruppe die<br />
Felszeichnungen besucht, um bei den mythischen Figuren Segen und Rat zu holen.<br />
Mithilfe von Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee beleuchtet die Schau im Rietberg<br />
aber auch die intensive Rezeption prähistorischer Kunst durch die Protagonisten<br />
der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Es wird ersichtlich, dass die Felsbilder in<br />
ihrer unnachahmlichen Ausdruckskraft für Künstler wie Klee, Miró, Giacometti oder<br />
Pollock eine wesentliche Inspirationsquelle darstellten. Die Felsbildkopien wurden<br />
dank Ausstellungen in Europa und den USA, etwa im MoMA 1937, breit rezipiert, gerieten<br />
ab den 1960er-Jahren aber zunehmend in Vergessenheit. Grund dafür war<br />
die Farbfotografie wie auch der Vorwurf der «persönlich gefärbten» Bildsprache der<br />
Kopistinnen. Durch ihre Wirkungsgeschichte bilden diese originalen Zeichnungen<br />
dennoch einen wichtigen Beitrag zur Kulturgeschichte. Die Felsbilder ermöglichen<br />
einen vielschichtigen Einblick in das Leben und die Vorstellungskraft ihrer Urheber.<br />
Zu Recht bezeichnete Leo Frobenius den Blick auf prähistorische Felszeichnungen<br />
als «Blick in ein Bilderbuch der Menschheitsgeschichte». Dominique von Burg<br />
→ ‹Kunst der Vorzeit − Felsbilder der Frobenius-Expeditionen›, Museum Rietberg, bis 11.7. ↗ rietberg.ch<br />
104 <strong>Kunstbulletin</strong> 6/<strong>2021</strong>