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Kunstbulletin Juni 2021

Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.

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Gerhard Richter — Landschaft ist alles<br />

Seit sechs Jahrzehnten macht Gerhard Richter sich stets von<br />

neuem ein Bild von der Landschaft. Die hervorragende Ausstellung<br />

im Kunsthaus Zürich, die zuvor in Wien zu sehen war, ist<br />

die bisher umfassendste zu diesem Thema. Richters «Malen ist<br />

eine andere Form von Denken» wird eindringlich erlebbar.<br />

Zürich — Landschaft, «wahrscheinlich das Tollste, was es überhaupt gibt». Richter<br />

sagt es im Filmporträt, das am Ende der Schau einen Menschen vergegenwärtigt,<br />

welcher der «unbegreiflichen Wirklichkeit» malend begegnet. Über hundert zwischen<br />

1957 und 2018 entstandene Werke geben Einblick in ein Hauptkapitel seines Schaffens,<br />

die Landschaftsmalerei. Das Thema eröffnet das ganze Universum Richter, das<br />

die Fragilität und Brüchigkeit der Welt vor Augen führt, die Uneindeutigkeit, die es<br />

auszuhalten gilt. Von dem, was ist, allein der Schein – und immer wieder: Schönheit.<br />

Gastkurator Hubertus Butin und Cathérine Hug vom Kunsthaus Zürich präsentieren<br />

eine klug strukturierte Austellung in fünf Kapiteln. Es beginnt mit ‹Landschaften<br />

aus zweiter Hand›, bei denen eine fotografische Vorlage auf den Malgrund übertragen<br />

und in typisch Richter’scher Manier verwischt wird, sodass das Bild dank der Unschärfe<br />

offener bleibt, ort-, zeitloser. Einmal stehen Menschen im Zentrum: ‹Familie<br />

im Schnee›, 1966 nach einem Foto gemalt, aus heutiger Perspektive erinnerungsstark;<br />

man denkt etwa an Richters ‹Onkel Rudi› in NS-Uniform oder das später so<br />

berühmt gewordene Kinderbild ‹Tante Marianne› – des Mädchens, das 1939 zwangssterilisiert<br />

und 1945 gestorben ist. Sonst aber: Farbiges, spektakulär Unspektakuläres<br />

wie ‹Regenbogen› oder ‹Wasserfall›. Den betörenden Landschaften erliegt man<br />

nur allzu leicht. Weiter Himmel, atmosphärisches Licht, ungefähre Unendlichkeit;<br />

Verbindung zur Romantik, zu Caspar David Friedrich. ‹Davos›, Teyde-Landschaften,<br />

‹Abendstimmung›, Wolkenbilder: Gleichnisse wofür? Erinnerungen an Verlorenes in<br />

Leben und Kunst spielen hinein, von Transzendenz keine Spur. Von Sehnsucht schon.<br />

Vieles hat Platz im dritten Kapitel, ‹Landschaft in der Abstraktion›, in dem sich<br />

Richters subversive Experimentierlust zeigt. Ob sich bewegte Pinselstriche zu Gebirgen<br />

formen, zu Städten, gestisch zu ‹Parkstück› oder mit der Rakel zum monumentalen<br />

‹St. Gallen› – was erscheint, braucht man nicht zu verstehen. Aber: sich ihm aussetzen,<br />

da sein vor den Bildern. Dann die ‹Landschaften als fiktionale Konstrukte›, wo<br />

vier imposante ‹Seestücke› dominieren und Erhabenheit vorschwindeln, kombiniert<br />

Richter doch Himmel und Meer beziehungsweise Meer unter einem Himmel aus Meer<br />

zu neuen, ungewissen Räumen. Den eher verspielten Schlusspunkt setzen die ‹Übermalten<br />

Landschaften›, bei denen sich Fotografien, selbst nur illusionistische Bilder,<br />

mit realer Farbmaterie verbinden: überraschend, voller Wahrnehmungszauber. Auch<br />

da: das Schöpferische als Ereignis. Angelika Maass<br />

→ ‹Gerhard Richter – Landschaft›, Kunsthaus Zürich, bis 25.7. ↗ www.kunsthaus.ch<br />

106 <strong>Kunstbulletin</strong> 6/<strong>2021</strong>

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