Kunstbulletin Juni 2021
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
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H.o.Me. – Heim für obsolete Medien — Ein Feld für Experimente<br />
Vom Super-8-Film bis zum Discman – im Kunsthaus Langenthal<br />
stellt sich bei der überbordenden Ansammlung analoger audiovisueller<br />
Geräte von Flo Kaufmann die Frage nach deren Verfallsdatum.Mit<br />
ergänzenden Werken befreundeter Kunstschaffender<br />
wird zugleich ihr Potenzial zur Widerständigkeit untersucht.<br />
Langenthal — Manchmal wird einem das eigene Alter ganz unerwartet bewusst – wie<br />
jüngst im Kunsthaus Langenthal, als der Schreibende irritiert eine Punkt-für-Punkt-<br />
Bedienungsanleitung für einen Kassettenrecorder erblickt. Erst spät realisiert er, wie<br />
lange die Hochblüte all dieser analogen audiovisuellen Technik zurückliegt, die sich<br />
in den Ausstellungsräumen türmt. Zugegeben erweisen sich die Anleitungen als hilfreich<br />
für Geräte aus noch früherer Zeit, wie etwa Super-8-Projektoren oder Plattenspieler,<br />
die man ausprobieren kann.<br />
Zwischen Schrottplatz, Werkstatt und Laboratorium liegt die Atmosphäre der<br />
Schau ‹H.o.Me. – Heim für obsolete Medien›, welche erstmals die immense Ansammlung<br />
an Ton- und Bildgeräten von Flo Kaufmann (*1973) zeigt. Diese haben sich als<br />
«Strandgut» bei ihm angehäuft, sagt der Solothurner Musiker, Ingenieur, Künstler<br />
und «bricoleur universel». Er sucht keine Trouvaillen, sondern versteht die Objekte<br />
als Rohmaterial für künstlerische und klangliche Experimente. So besteht die ‹Gebetsmühle›<br />
von 2010 aus Cola- und Pepsi-Dosen, die an der Wand surrend rotieren.<br />
Weiter bietet Kaufmann Sprechstunden an, in denen er «Kellerfunde» nach Möglichkeit<br />
abspielt, über deren Erhaltung informiert oder sie als Spende entgegennimmt.<br />
Auf die Geräte reagieren wir mit nostalgischen Gefühlen, technischer Faszination<br />
und der Frage: «Was damit anfangen?» Solche Aspekte thematisieren der Katalog<br />
wie auch die Werke von fünfzehn Kunstschaffenden, die in der «Unordnung»<br />
verteilt das heutige Potenzial solcher Technologien ausloten: So kratzt das von der<br />
Decke hängende Plattenspieler-Objekt des Künstlers Strotter Inst. bereits bedenklich,<br />
während in Alexandra Navratils eindringlichem Video ‹The Night Side› die Hände<br />
einer ehemaligen Agfa-Mitarbeiterin langsam tastend über Maschinen zur Herstellung<br />
von Filmen streichen. Wegen deren Lichtempfindlichkeit musste in der einstigen<br />
DDR-Firma fast völlige Dunkelheit herrschen. Kontrastierend dazu bildet Asi Föcker<br />
leuchtende Glühbirnen auf Fotopapier in seltsam abstrakten Formen ab. Fornax Void<br />
(David Elsener) veröffentlichte sein Album ‹Cyberspace Database› mit Synthesizer-<br />
Musik im Stil der 1980er und 1990er letztes Jahr bewusst nur als limitierte CD-Box.<br />
Die französische Gruppe Dardex hingegen kreiert aus Elektroschrott archaische Klingenwaffen<br />
und erinnert so in dieser lebendigen Ausstellung indirekt an die Schattenseite<br />
der Berge ausrangierter Geräte, die im «globalen Süden» oft unter verheerenden<br />
gesundheitlichen Bedingungen weiterverwertet werden. Adrian Dürrwang<br />
→ ‹H.o.Me. – Heim für obsolete Medien›, Kunsthaus Langenthal, bis 20.6. ↗ kunsthauslangenthal.ch<br />
92 <strong>Kunstbulletin</strong> 6/<strong>2021</strong>