Kunstbulletin Juni 2021
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.
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HINWEISE<br />
Natalia Mirzoyan — Five<br />
Minutes to Sea<br />
Animation — Wer hat sie nicht, diese Kindheitserinnerungen<br />
an das Warten. Das Warten<br />
auf die Schulglocke am Mittag oder das Warten,<br />
bis endlich das erste Weihnachtsgeschenk<br />
ausgepackt werden darf. In all diesen wartenden<br />
Momenten vergeht die Zeit schleichend<br />
und zieht sich scheinbar unendlich in die Länge.<br />
In ‹Five Minutes to Sea› wartet ein Mädchen<br />
ungeduldig darauf, wieder ins Meer zu dürfen.<br />
Die fünf Minuten Wartezeit kommen ihr vor wie<br />
eine Ewigkeit. Passend zu ihrem Zeitgefühl<br />
und dem Ticken der Uhr geschieht alles um sie<br />
herum in Zeitlupe. Im Gegensatz zur kindlichen<br />
Wahrnehmung scheint sich die Zeit für das<br />
ältere Paar ganz normal zu bewegen. In ihrem<br />
Kurzfilm spielt Natalia Mirzoyan (*1982, Armenien)<br />
mit unserem Gefühl für Zeit und dessen<br />
Veränderung mit zunehmendem Alter. Während<br />
die fünf Minuten für das Mädchen unendlich<br />
lange dauern und mit Spannenderem als nur<br />
Warten verbracht werden könnten, sind diese<br />
paar Minuten für das ältere Paar im Nu vorbei.<br />
‹Five Minutes to Sea› ist nach ‹Chinti› Natalia<br />
Mirzoyans zweiter Kurzfilm. Der handgezeichnete<br />
Animationsfilm wurde an mehr als<br />
100 Festivals gezeigt und gewann über 30 Preise,<br />
unter anderem den Publikumspreis am<br />
Fantoche Festival. Dominique Marconi<br />
Nilbar Güreş<br />
Biel — Rosarot und unbeschreiblich weiblich:<br />
Nilbar Güreş (*1977) bedient mit ihrer Kunst<br />
vorderhand gängige Klischees von Weiblichkeit,<br />
um sie gleich darauf abzulegen, wie schlecht<br />
sitzende Kleider. Und das darf man mehr oder<br />
weniger wörtlich nehmen, denn die in der<br />
Türkei geborene Künstlerin, die heute in Wien<br />
und Istanbul zuhause ist, arbeitet viel mit<br />
textilen Materialien – sei es in Collagen wie<br />
‹The Submarine›, 2018, die wie Bühnenbilder<br />
für kleine erotische Szenen wirken, sei es in<br />
grossen Objekten wie ‹Velvet Stare›, 2020, eine<br />
Art Palme im Abendkleid. Garniert mit, tja, was?<br />
Künstlichen Kokosnüssen? Brüsten? Dicken<br />
Hoden? Nein, dafür hängen sie entschieden zu<br />
hoch. Brüste passen auch thematisch besser,<br />
denn es geht bei Güreş um Interkulturalität und<br />
Queerness, aber auch um Frauenbilder: konventionelle<br />
versus progressive. Die Künstlerin<br />
greift dabei ins Handarbeitskörbchen, um traditionelle<br />
Rollenbilder zu entspinnen, während<br />
viele Schweizerinnen und Schweizer gerade<br />
das Stricken und Häkeln als neue alte Form<br />
der Selbstwirksamkeit oder alte neue Form<br />
der Kreativität entdecken. Manchmal kann die<br />
Künstlerin aber auch richtig stachelig werden –<br />
und verwandelt Kakteen in Objekte, die wie<br />
dreidimensionale Comicfiguren aussehen. AH<br />
Natalia Mirzoyan · Five Minutes to Sea, 2018,<br />
7’10’’, Filmstill<br />
↗ https://vimeo.com/468976307<br />
Nilbar Güreş · Sour as a Lemon, <strong>2021</strong>, Kunsthaus<br />
Pasquart. Foto: Lia Wagner<br />
→ Kunsthaus Pasquart, bis 13.6.<br />
↗ www.pasquart.ch<br />
64 <strong>Kunstbulletin</strong> 6/<strong>2021</strong>