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Kunstbulletin Juni 2021

Die Kunstbulletin Juni-Ausgabe 2021. Mit Beiträgen zu: Renée Levi, Olafur Eliasson, Mireille Gros, Franz Erhard Walther uvm.

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Editorial — Als wäre nie etwas passiert<br />

Wahrnehmung entfaltet sich zwischen Annäherung und Distanznahme.<br />

Ein Schritt nach vorn oder ein Schritt zurück verändert,was<br />

wir sehen und verstehen. Das galt auch bei der Suche des idealen<br />

Bildausschnitts für unser Titelbild. Zu nah verliert man den Blick<br />

auf die sich wiederholenden Kringel, aus der Ferne ist die Struktur<br />

der Leinwand und des schwungvollen Farbauftrags nicht mehr zu<br />

erkennen.Und doch geht es hier ums Ganze, um malerische Grundfragen<br />

nach Farbe, Farbauftrag, Bildträger und Präsentation.<br />

Diese Themen beschäftigen Renée Levi seit jeher. Das erste<br />

Werk im Verzeichnis auf ihrer Website, ‹Rotes Brett mit Haken›,<br />

hängt an einer Wand und wölbt sich als ob es zwischen Boden und<br />

Haken eingequetscht wäre. Das Ringen zwischen der Schwerkraft,<br />

den Gegebenheiten des Materials und dem Aufbrechen der Perfektion<br />

– das Brett ist voller Nieten und Fehler – ist offensichtlich.<br />

Dieser Konflikt zwischen Vorstellung und materiellem Widerstand<br />

prägt Levis Werk auch mehr als dreissig Jahre später. Nur ist das<br />

Kräftemessen heiterer, verspielter geworden. Wenn die Künstlerin<br />

statt zum Naturhaarpinsel zum Wischmopp greift und die Griffstange<br />

so verlängert, dass sie die Farbe weit über ihren Kopf hinaus<br />

auf Wände und Oberflächen aller Art auftragen kann, gleicht<br />

dies einem Tanz. Ihr Vorgehen hat mit Rhythmus und Dynamik, mit<br />

der Überwindung der eigenen Körpergrenzen und der malerischen<br />

Tradition zu tun. Und wenn sie dann in Silberbuchstaben an die<br />

Wand sprayt «Comme si de rien n’était», dann signalisiert sie das<br />

Gegenteil. Denn hier ist etwas passiert, hier hat jemand eine sinnliche<br />

Botschaft hinterlassen. Eine, die uns über Farben und Gesten<br />

dazu animiert, den Wischmopp nicht nur kreisend über den eigenen<br />

Küchenboden wirbeln zu lassen, sondern den Radius unseres<br />

Wünschens und Wirkens etwas weiter zu ziehen. Claudia Jolles<br />

TITELBILD · Renée Levi · Baharak 2, 2019, 280 x 280 cm, Acryl auf Baumwolle, Detail. Foto: Aurélien Mole<br />

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