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»Baby, es ist aus!«<br />
Ordnungshüter in eine Auseinandersetzung gerät. Beim<br />
Gerangel fällt der Ältere auf ein Gleis und wird von dem herannahenden<br />
Zug erfasst. Wie in einem Albtraum schaut<br />
Alex auf den zerteilten Leib des Wachmannes. Das Reale<br />
bricht in die éducation sentimentale ein.<br />
Alex spricht mit niemandem über den Unfall und versucht<br />
sein normales Leben weiterzuführen. Van Sant spürt<br />
dem Verlust der jugendlichen Unschuld und der Angst, enttarnt<br />
zu werden, intensiv nach. Alex trägt seine Schuld wie<br />
unter Narkose durch den Alltag, schleppt sein Schicksal<br />
durch die endlos langen Korridore der Highschool. Alex’<br />
Gewissensbisse und seine teenage angst werden in flirrenden,<br />
schwebenden, quasi impressionistischen Bildfolgen<br />
erzählt. Er geht zum Haus von Jareds Eltern, duscht<br />
sich, wechselt die Klamotten und versucht seinen Vater<br />
anzurufen. In anderen Einstellungen sieht man Alex, wie er<br />
mit seiner Freundin nach dem ersten Sex Schluss macht.<br />
Und wie er in der Schule, zuerst einzeln, danach mit seinen<br />
Skater-Kumpels von einem Detective (Dan Liu) zum Tod<br />
des Wachmanns befragt wird. Die Fragen des Polizisten<br />
und die Sätze der Mittelstands-Eltern surren an Alex’ Lebenswelt<br />
vorbei. Die Erwachsenen und ihre Werte werden<br />
auch von der Kamera ausgeschlossen. In der Szene, wo<br />
sich Alex’ Vater (Jay »Smay« Williamson) nach dem Wohlbefinden<br />
des Sohnes erkundigt, bleibt dieser zunächst unscharf.<br />
Als Zuschauer vermutet man einen all-american<br />
dad hinter der Stimme. Scharf gestellt, entpuppt sich der<br />
Vater jedoch <strong>als</strong> volltätowierter Ex-Skater mit fliegendem<br />
Flanell-Hemd. Mainstream der Minderheiten!<br />
»Paranoid Park« teilt mit seinen Vorgängern nicht nur<br />
die jugendlichen Protagonisten und Laiendarsteller (die<br />
für diesen Film via MySpace gecastet wurden). Sondern<br />
auch die Zeitschleifen und das Pendeln zwischen Begehren<br />
und Mangel im Alltag. Dazu eine Tonspur, die, wo sie<br />
vom Bild abgekoppelt wird, ein Flirren erzeugt. Der atmosphärische<br />
Sound, die traumverlorene ausdrucksstarke<br />
Bildsprache von Wong Kar-Wais langjährigem Kameramann<br />
Christopher Doyle, die Super-8-Skateboard-Ästhetik<br />
von Rain Kathy Li, die unorthodoxe Narration: typisch<br />
Gus Van Sant. Das Abweichen von einer klassischen Dramaturgie<br />
der Situationen taucht ein in die Erfahrungswelt<br />
des jungen skatenden Raskolnikoff, ohne sich anzubiedern.<br />
Im Zusammenspiel mit dem Score – inklusive Nino Rotas<br />
Kompositionen für Fellinis »Amarcord«, diesem Reigen der<br />
Erinnerung an die Erinnerung – ist es vor allem die Tonebene,<br />
die die Türen der Wahrnehmung öffnet. Während die<br />
Romanvorlage von Blake Nelson in Form eines Tagebuchs<br />
den direkten Zugriff auf die Subjektivität des Protagonisten<br />
ermöglicht, fasst Van Sant die Schuld des Jugendlichen<br />
weniger mit Psychologie, vielmehr atmosphärisch.<br />
Selten ist in letzter Zeit jemand Robert Bressons Satz so<br />
nahe gekommen, wonach man die Endlichkeit mitbedenken<br />
sollte, um durch diese Folie einen anderen Blick auf<br />
alltägliche Details und Gesten zu gewinnen, wie Gus Van<br />
Sant mit »Paranoid Park«.<br />
Paranoid Park<br />
F/USA 2007<br />
R: Gus Van Sant; D: Gabe Nevins, Taylor Momsen, Jake Miller,<br />
Dan Liu, Lauren McKinney, Scott Green; 15.05.<br />
Trilogie des Todes<br />
Nino Rota<br />
Film 059<br />
Seine letzten drei Filme bezeichnete Gus<br />
Van Sant <strong>als</strong> »Trilogie des Todes«, sie<br />
beruhen auf wahren Ereignissen. Im 2002<br />
gedrehten »Gerry« suchen die Protagonisten<br />
in der Wüste eine Extremerfahrung, an<br />
der sie fast zugrunde gehen, »Elephant«<br />
(2003) versucht sich dem Massaker an<br />
der Columbine Highschool zu nähern, und<br />
»Last Days« (2005) verhandelt die Einsamkeit<br />
Kurt Cobains vor dessen Tod.<br />
... wurde nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
vor allem <strong>als</strong> Verfasser von Filmmusik<br />
bekannt. Er komponierte insbesondere<br />
für Federico Fellini (»La Dolce Vita«, »8<br />
½«, »Amarcord«, »Casanova«), Luchino<br />
Visconti (»Rocco und seine Brüder«, »Der<br />
Leopard«) und Francis Ford Coppola (»Der<br />
Pate«).