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092 Probefahrt<br />
1000 Robota<br />
Hamburg brennt<br />
Tapete / Indigo<br />
Als greiser Pop-Opa innerlich<br />
schon längst bereit, seine<br />
Memoiren zu schreiben,<br />
blickt man ja eher neidisch<br />
auf das junge Gemüse, das noch nach den<br />
Sternen – oder einfach mal ordentlich in<br />
die Saiten – greift. Und dann kommt immer<br />
wieder diese Waschlappenprosa<br />
mit unmotiviertem Geschrammel aus<br />
den Boxen. Unweigerlich denkt der Opa<br />
an Justus Jonas und Schwimmflügelchen,<br />
kehrt die Langeweile untern Teppich,<br />
erträumt sich halluzinogenes Gnadenbrot<br />
und hört die neue Santogold an.<br />
Die nicht ganz volljährigen 1000 Robota<br />
klingen dagegen gleich auf sehr zeitgenössische<br />
Weise nach 1977, wo der Opa<br />
herkommt. Die drei Jungs mischen mit<br />
den paar Songs ihrer superreferenziell<br />
»Hamburg brennt« betitelten Debüt-EP<br />
dessen greisen Kulturpessimismus gehörig<br />
auf. Bevor es in D-Land jemand gemerkt<br />
hat, sind sie ähnlich wie Mit schon<br />
in England angekommen – kein Wunder,<br />
wo ihre zwischen Gang Of Four zu Entertainment-Zeiten<br />
und frühen Abwärts-<br />
Spiralen sägenden Gitarren über Punkdubbigen<br />
Basslines mit den gedoppelmoppelten<br />
Agit-Voc<strong>als</strong> doch mehr nach<br />
Arbeiterklasse <strong>als</strong> nach Klassenarbeit<br />
klingen. Dabei raunt der Songtitel des eröffnenden<br />
Stücks so wunderbar ernst, so<br />
verbissen ernst, wie man eine Platte mit<br />
fünf Liedern drauf halt nehmen sollte: »Es<br />
geht nun mal um etwas.« Das hört sich für<br />
den Opa so an, <strong>als</strong> wären die Lümmel gerade<br />
in den Krieg gezogen, aus dem er vor<br />
Jahren schon zurückgekommen ist.<br />
Wolfgang Frömberg<br />
18th Dye<br />
Amorine Queen<br />
Crunchy Frog / Cargo<br />
So ging Internationalität vor<br />
Web 2.0: Das deutsch-dänische<br />
Trio 18th Dye war Anfang<br />
der 90er <strong>als</strong> so ziemlich<br />
einzige deutsche Indie-Band eine Nummer<br />
im Ausland. Sie spielte Peel-Sessions,<br />
veröffentlichte auf dem New Yorker<br />
Label Matador, nahm Platten mit Steve<br />
Albini auf und spielte Tourneen mit Yo La<br />
Tengo oder Stereolab. Ultra-effizientes<br />
Networking <strong>als</strong>o, an dessen Nachahmung<br />
sich deutsche Bands auch Jahre später<br />
noch meist vergebens versuchten. Folgen<br />
der Weltenbummler-Ambitionen: Amerikanische<br />
Bekanntschaften hauchen den<br />
Bandnamen nicht selten heute noch <strong>als</strong><br />
dritte coole Deutschland-Referenz nach<br />
Kraftwerk und The Notwist in die kalte<br />
Nacht. Hierzulande kennen 18th Dye hingegen<br />
nur noch Altvordere und Eingeweihte.<br />
18th Dye beginnen gut zehn Jahre nach<br />
ihrer Auflösung mit ihrem neuen Album so<br />
faktisch bei Null. Dabei knüpft »Amori-<br />
Elbow<br />
HERRENPERLENKETTE<br />
Was kann man schon erwarten von einem neuen Elbow-Album? Nach einem halben<br />
Leben, nach 17 Jahren Bandgeschichte, nach Höhen und Tiefen? Ein Meisterwerk!<br />
D ie<br />
musikalische Welt des verschworenen<br />
Haufens um Sänger Guy Garvey bleibt so<br />
einzigartig wie herausragend. Unter einer<br />
unschuldigen Oberfläche, hinter stoischen<br />
Drums, hupenden Bässen, sich selbst spiegelnden Klavieren<br />
und verhallten Gitarren ziehen die herrlichsten Arrangements<br />
vorbei, die in einem Bandkontext vorstellbar sind.<br />
Streicher, Bläser, Geräusche, Gospels, Räume: So selten<br />
fühlt man Musik in jeder körperlichen Dimension. So sehr<br />
überwältigt es, wenn es passiert. »The Seldom Seen Kid«<br />
ist kein Konzept-Album, nicht im klassischen Sinne. Der Tod<br />
von Freund und Songwriter Bryan Glancy (der Titel des Albums<br />
ist sein Spitzname) hat das Leben der Band in den<br />
vergangenen zwei Jahren zwar nachhaltig beeinflusst, jedoch<br />
nicht durch und durch bestimmt. Es gab auch Nachwuchs,<br />
neue Lieben, Probleme mit der Plattenfirma ... »Wir<br />
waren sicher nie düsterer«, sagt Gitarrist Mark Potter. »Aber<br />
es gibt auch Licht auf diesem Album: Nostalgie, Aufbruch<br />
und Optimismus.« Orchestrales Zentrum ist »The Loneliness<br />
Of A Tower Crane Driver« – ein Monster mit atemraubender<br />
Dramaturgie. Drum herum kreist ein knappes<br />
Dutzend glitzernder Perlen, die sich in der Entstehung be-<br />
ne Queen« nahtlos (und kaum überraschend)<br />
an früher an: Im Midtempo-Noise<br />
geben sich Heike Rädeker (remember:<br />
Wuhling) und Sebastian Büttrich das Mikro<br />
in die Hand, man lärmt und schummert<br />
sich durch die Comeback-Revue. Ein<br />
behagliches Songnest für vor dem JuZe-<br />
Kamin. Oft zwingend (»Song For Helen«,<br />
»Soft The Hard Way«), mal etwas weniger,<br />
immer aber erbaut auf ein sehr eigenes<br />
Bezugssystem in Sachen Ansprache,<br />
Sound, Melodie. Schön, dass ihr wieder da<br />
seid, 18th Dye. So zeitlos/unzeitgemäß ihr<br />
2008 auch klingt. Bitte ankreuzen.<br />
Felix Scharlau<br />
Erykah Badu<br />
New Amerykah<br />
Universal<br />
»New Amerykah. Part One<br />
(4th World War)« – sowohl<br />
der Titel <strong>als</strong> auch das eingebaute<br />
Wortspiel sind angemessen<br />
großkotzig, ambitioniert, hirn-<br />
rissig, clever, nervig und genial für diese<br />
Platte, das direkt mal vorweg. Ganz schön<br />
viele Adjektive für einen ersten Satz, aber<br />
irgendwie muss man wohl den Ausnahmecharakter<br />
herausstellen, den diese<br />
Platte tatsächlich innehat, den vor<br />
allem aber diese Frau immer noch darstellt.<br />
Denn das habe ich fast schon nicht<br />
mehr zu hoffen gewagt. (Wer mich jetzt<br />
einen ahnungslosen Trottel schimpft,<br />
möge sich in aller Ruhe noch mal das<br />
piefige Gejamme auf »Worldwide Underground«<br />
von 2003 antun. Also wirklich.)<br />
Zweifelsfrei schwingt sich Badu auf diesem<br />
Werk, dem schon in diesem Jahr der<br />
zweite Teil folgen soll, zu einer Art Quincy<br />
Jones der Jetztzeit auf: Sie versammelt<br />
eine Handvoll Producer-Großbegabungen<br />
(Madlib, Sa-Ra Creative Partners, 9th<br />
Wonder) um sich, gemeinsam wird Neo-<br />
Soul lässig verabschiedet. Stattdessen<br />
wird der Funk aus krustigen Beatgerüsten<br />
gewrungen, die Strukturen eiern um sich<br />
selbst, in ewiger Repetition mitten hinein<br />
dingt haben. Ein Song kam zum anderen – keine Liedsammlung,<br />
eher ein aufrichtiges Tagebuch. Gesungen von einer<br />
Seele: Guy Garvey umarmt mit seiner Stimme, meistens<br />
herzlich, immer anrührend. Er singt Refrains, die niem<strong>als</strong><br />
enden dürfen. »I have an audience with the pope. And I’m<br />
saving the world at eight. But if she says she needs me,<br />
everybody’s gonna have to wait.« Vor einigen Monaten hatten<br />
Elbow angekündigt, das aktuelle Album werde ihre letzte<br />
»physische« Veröffentlichung. Sonst geht es aber weiter:<br />
»Die Idee, <strong>als</strong> Band gemeinsam alt zu werden, ist doch<br />
romantisch«, schmunzelt Potter. »Ich hoffe nur, dass unsere<br />
Freunde ihr Versprechen halten und uns sagen, wenn<br />
die Zeit kommt ...«<br />
Christian Wessels<br />
PS: In England ist »The Seldom Seen Kid« auf Platz 5 eingestiegen,<br />
Elbows bisher höchste Charts-Platzierung. Die<br />
UK-Ausgabe des Albums glänzt mit »We’re Away«, einem<br />
wunderschönen Bonus-Track. Für 2008 ist außerdem eine<br />
B-Seiten-Sammlung angekündigt.<br />
Elbow »The Seldom Seen Kid« (Fiction / Universal)<br />
in die Zeitlosigkeit. Von Störgeräuschen<br />
und erdschweren Bässen umtost, schlängelt<br />
sich allein Badus nie ganz reines Organ<br />
durch die Tracks und erzählt in verknappten<br />
Bildern vom düsteren Zustand<br />
dieser Welt. Dass in einem mittlerweile so<br />
verschnarchten Genre wie R’n’B noch mal<br />
ein derartiger Innovationsschub stattfinden<br />
könnte – wer hätte es geahnt?<br />
Heiko Behr<br />
Blaktroniks<br />
Mechanized Soul<br />
Rubaiyat / Phazzadelic / Groove Attack<br />
In einem <strong>Intro</strong>-Interview<br />
vor sechs Jahren beschieden<br />
Blaktroniks dem Autor<br />
Jochen Bonz via E-Mail<br />
klipp und klar: »Sicherlich kannst du jede<br />
Menge Vermutungen über unsere Kultur<br />
anstellen, aber du bist dabei außerhalb<br />
und schaust nur herein.« It’s a black thing<br />
you wouldn’t understand. Ich unterstelle<br />
jetzt mal: Das war gar nicht konfrontativ