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078 Literatur<br />

DEKONSPIRATIONE<br />

Niemand regiert die Welt? Behaupten Verschwörungstheoretiker nicht ständig was<br />

anderes – und sind es nicht die Regierenden, die mit ihrer Politik der Desinformation<br />

unsere Fantasie befl ügeln? Mag sein. Daniel Kulla liefert dennoch ein probates<br />

Gegenmittel für verquere Hirngespinste.<br />

E in<br />

gut gepflegter Verfolgungswahn bereichert<br />

das Leben. Mal ehrlich, der Briefträger<br />

war dir doch schon immer suspekt.<br />

Ein Blick in die Abendnachrichten reicht,<br />

um in allen erdenklichen Winkeln einer von Gott verlassenen<br />

Welt dunkle Machenschaften und Manipulationen<br />

zu erahnen. Wer braucht Rollen-Spiele, wenn die Realität<br />

so viel geheimnisvoller erscheinen kann? Grundvoraussetzung<br />

ist das richtige Mindset: »Nichts geschieht zufällig.<br />

Nichts ist, wie es scheint. Alles ist miteinander verbunden.«<br />

So beschreibt der amerikanische Autor und Professor<br />

der Politischen Wissenschaft Michael Barkun die<br />

Grundregeln der Verschwörungstheorien. Wer diese einfachen<br />

Merksätze beherzigt, findet selbst in der oft geschmähten<br />

Bäckerblume Hinweise auf ein alles umfassendes,<br />

jedes Übel erklärendes Komplott.<br />

Für Special Agent Mulder ist nicht die Frage, ob du zu<br />

paranoid, sondern ob du paranoid genug bist; Terry Pratchett,<br />

Kurt Cobain und Joseph »Catch 22« Heller bestätigen<br />

unisono: »Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht,<br />

dass sie nicht hinter dir her sind.« Umso wertvoller und<br />

wichtiger ist die Einschränkung, mit der Daniel Kulla seinen<br />

Vortrag auf dem 22. Chaos Communication Congress<br />

im Dezember 2005 eröffnete: »Nur weil du paranoid bist,<br />

heißt das nicht, dass du hinter anderen her sein musst.«<br />

Bereits der Titel des Vortrags »Entschwörungstheorie«<br />

dient <strong>als</strong> subversives Spiel mit dem Unsinn. Denn wer Verschwörung<br />

und Theorie in einem Atemzug nennt, hat schon<br />

verloren. Darum trägt Kullas Buch denselben Titel, »Entschwörungstheorie«,<br />

nur der Zusatz ist neu: Niemand regiert<br />

die Welt. Im Zentrum seines Interesses stehen nicht<br />

die lustigen Verschwörungen und spielerischen Verschwörungstheorien,<br />

sondern die Verschwörungsideologie, der<br />

sogenannte Konspirationismus. Wenn Robert Anton Wilson<br />

mit der »Illuminatus!«-Trilogie das weite Feld der Verschwörungstheorien,<br />

ehedem Domäne reaktionärer und<br />

konterrevolutionärer Kräfte, für eine wie auch immer geartete<br />

Linke fruchtbar gemacht hat, kommt Kullas »Entschwörungstheorie«<br />

einer Brandrodung gleich. Vielleicht<br />

macht es irgendwann wieder Spaß, aus einem emanzipatorischen<br />

Geist heraus ein paar Verschwörungen zu pflanzen.<br />

Momentan sind es jedoch die realen »powers that be«<br />

mit ihrer nur mühevoll getarnten Desinformation, die unsere<br />

Paranoia befeuern sollten. Wiederhole: Die Quersumme<br />

von 11.09.2001 lautet nicht 23. Und nein, auch wir sind<br />

nicht die Guten.<br />

Lars Brinkmann<br />

Daniel Kulla »Entschwörungstheorie. Niemand regiert die Welt«<br />

(Der Grüne Zweig 254, Werner Pieper & The Gruene Kraft, <strong>24</strong>4 S., EUR 14,80)<br />

Kein Land für alte<br />

Männer<br />

Cormac McCarthys »No Country For Old<br />

Men« beschreibt die USA <strong>als</strong> ein Land<br />

auf dem Weg in die Hölle. Es geht um<br />

hartgesottene Männer, die im Grenzland<br />

zwischen Texas und Mexiko dem<br />

großen Geld hinterherjagen. Da ist Llewellyn<br />

Moss, der eigentlich nur Antilopen<br />

schießen will. Als er in der Wüste<br />

auf einen Koffer mit 2,4 Millionen Dollar<br />

Drogengeld stößt, wird ihm klar, dass in<br />

seinem Leben nichts mehr so sein wird<br />

wie zuvor. Der psychopathische Killer<br />

Chigurh, gesegnet mit Lapislazuliaugen<br />

und einem diabolischen Abrechnungswahn,<br />

hat das Zeug zu einer unvergesslichen<br />

Kultfigur. Der Dritte im Bunde ist<br />

Wells, ein Ex-Elitesoldat, der sich gewaltig<br />

verrechnet. Einzig Bell, ein »Hinterwäldler-Sheriff<br />

in einem Provinzkaff«,<br />

hat kein Interesse am Mammon. Er gibt<br />

den knorrigen Alten mit dem Herzen am<br />

rechten Fleck.<br />

McCarthys Motels an staubigen Straßen<br />

sind von hinreißender Trostlosigkeit,<br />

seine Gemetzelszenen pulsieren wie Gemälde<br />

von Caravaggio. Doch ästhetisch<br />

ist in diesem Roman längst nicht alles<br />

im Lot. Sorgfältig ist der Autor darauf<br />

bedacht, die Gedanken seiner Helden<br />

nicht auszuleuchten: Statt von Gefühlen<br />

wird von Waffen und Krokodillederschuhen<br />

berichtet.<br />

Die Ausblendung der Empfindungen<br />

korrespondiert mit einer Welt, die aus<br />

den Fugen gerät – so weit, so konsequent.<br />

Doch McCarthy traut der eigenen<br />

Lakonie nicht. Deshalb stellt er den<br />

Bösewichten den sympathischen Bell<br />

an die Seite und lässt ihn fleißig monologisieren:<br />

Sterbehilfe, Abtreibung,<br />

Vietnamkrieg, Drogen, mangelnde Umgangsformen<br />

und grüne Haare – plötzlich<br />

ist die gesamte moderne Zivilisation<br />

schuld an den Morden in Texas. Mit<br />

einem wertekonservativen Brei werden<br />

die verstörenden Ereignisse zugekleistert.<br />

Der Sheriff, der sich nach gerechten<br />

Kriegen unter der Obhut Gottes<br />

zurücksehnt, ist <strong>als</strong> Repräsentant des<br />

ländlichen Amerika zwar keineswegs<br />

unrealistisch. Doch seine moralischen<br />

Überzeugungen werden so dick aufgetragen,<br />

dass sie die Vielschichtigkeit des<br />

Textes konterkarieren.<br />

Die Coen-Brüder haben in ihrer Romanverfilmung<br />

gut daran getan, Bell<br />

in seine Schranken zu weisen. McCarthy<br />

muss sich um die filmische Umsetzung<br />

jedoch keine Sorgen machen: Seiner<br />

Verbannung sämtlicher Frauen in die<br />

Küche halten auch die Coens die Treue.<br />

Kerstin Cornils<br />

Cormac McCarthy »Kein Land für alte Männer«<br />

(Rowohlt, 284 S., EUR 19,90)

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